Digitale Dienstplanung und neue Arbeitszeitmodelle in der Pflege für mehr Mitarbeiterzufriedenheit

Neue Arbeitszeitmodelle in der Pflege? Geht das? Obwohl die Anwesenheit nunmal notwendig ist und die nächtliche Arbeit auch? Na klar, geht trotzdem!

Pflegekräfte klagen über die vielen Spät- und Wochenenddienste, die dazu führen, dass Beruf und Familie schwer zu vereinbaren sind. Dazu kommt das häufige Einspringen für kranke Kollegen. Gleitzeit oder Home Office, wie in anderen Branchen längst Gang und Gäbe, kann man ihnen auch schwerlich anbieten. Wie lässt sich das Dilemma lösen? Wie lassen sich die Arbeitszeiten in der Pflege attraktiver gestalten, welche neuen Arbeitszeitmodelle in der Pflege lassen sich nutzen – um das dann im Personalmarketing als Arbeitgebervorteil zu bewerben? Der Träger Diako Thüringen sucht im Pilotprojekt „SITA“ Lösungsansätze über ein 12-Stunden-Schichtmodell, eine Dienstplanungs-App und ganz viel Mitarbeiter-Mitbestimmung. Prokurist Karsten Stüber berichtet.

Wie sind Sie das Problem Arbeitszeitmodelle in der Pflege angegangen?

Wir haben Lösungsvorschläge aus zwei Richtungen erarbeitet. Einerseits haben wir unsere Mitarbeitenden befragt, andererseits haben wir die Hochschule Fulda einbezogen und unser Projekt wissenschaftlich begleiten lassen. Das sind zwei wichtige Erfolgsfaktoren, wenn man etwas verbessern will. Denn natürlich haben wir auch schon vorher gewusst, dass die Arbeitszeiten in der Pflege ein Problem sind – ich bin selbst gelernter Krankenpfleger und weiß, dass Teildienste die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren. Wenn man die Unzufriedenheit der Mitarbeitenden wissenschaftlich und an der Basis erheben lässt, bekommt das Thema bei der Geschäftsführung ein viel größeres Gewicht. Die Bedürfnisse unseres Personals werden ernst genommen und dies wirkt sich positiv auf deren Einstellung zum Unternehmen aus.

Welche Vorschläge kamen von den Mitarbeitenden?

Sie haben eine Prämie für Dienste gefordert, für die sie spontan einspringen, wenn ein Kollege erkrankt. Wir zahlen nun 20 Euro brutto pro Schicht als Zulage. Das ist nicht viel, vielleicht nur ein symbolischer Betrag, aber er wird von den Mitarbeitenden sehr geschätzt. Außerdem forderten sie eine Reduzierung der Wochenenddienste. Wir boten ihnen deshalb als neue Arbeitszeitmodelle für die Pflege in den Einrichtungen 12-Stunden-Schichtmodelle an. Es beinhaltet für den Mitarbeitenden eine 12 Stundenschicht an einem Tag am Wochenende und garantiert zugleich einen freien darauffolgenden Tag und an den beiden darauffolgenden Wochenenden. Manche Häuser haben das Modell nach der Probephase beibehalten, andere sind zum alten System zurückgekehrt – aber auch diese Gruppe war zufriedener, weil sie etwas Neues ausprobiert hatten. Und weil sie selbst festgestellt hatten, dass das alte System gar nicht so schlecht war. Denn immerhin gibt es bei uns definitiv keine geteilten Dienste wie anderswo. Wichtig war uns, dass die Teilnahme freiwillig war. Unsere Dienststellen konnten sich dafür bewerben. Denn oft stößt von oben Verordnetes erst einmal auf Ablehnung.

Lassen sich denn keine Mitarbeitenden finden, die gerne nur am Wochenende oder in der Nacht arbeiten?

Auch die Idee für solche Arbeitszeitmodelle in der Pflege haben wir durchdiskutiert. Wir arbeiten in manchen Häusern bereits mit Dauernachtwachen. Alleinerziehende nutzen dieses Angebot gern, da eine nächtliche Betreuung ihrer Kinder oft leichter zu finden ist als eine Tagesbetreuung. Sie bringen ihre Kinder ins Bett und kommen dann zum Dienst. Und bevor die Kinder aufwachen, sind sie wieder zu Hause. Nach drei langen Nachtschichten haben sie dann ihre Wochenarbeitszeit abgearbeitet. Auch reines Wochenendpersonal zu finden, ginge theoretisch, aber man müsste dafür die komplette Belegschaft nach diesen Kriterien neu aufbauen und möglicherweise auch Leute entlassen. Das liegt natürlich nicht in unserem Interesse.

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Welche Vorschläge hat die Hochschule Fulda beigesteuert?

Die Hochschule hat zuerst die quantitative und qualitative Mitarbeiterbefragung durchgeführt und uns dann digitale Instrumente empfohlen, die uns bei der Modernisierung und Digitalisierung unserer Personalplanung helfen könnten. Darunter eine Dienstplanungs-App eines Start ups aus der Schweiz. Ein wichtiges Auswahlkriterium für die App war, dass wir unsere bestehende und gut funktionierende Software aus Bewerbermanagementsystem und Pflegedokumentationssystem, in dem bereits die Dienstplanung mit läuft, nicht ändern wollten. Die neue App sollte sich mit Schnittstellen an das bestehende System andocken lassen. Auch das hat uns wieder Pluspunkte bei der Belegschaft eingebracht: Niemand wurde gezwungen, sich umzustellen. Man kann seinen Dienstplan auch weiterhin am Schwarzen Brett ansehen. Wir haben einfach eine zusätzliche Möglichkeit eingeführt, die man freiwillig nutzen kann. Wenn dieses Medium gleichzeitig von einer Professorin anstelle eines Vertreters unseres Unternehmens präsentiert wird, ist die Wirkung auf unser Personal um einiges nachhaltiger. Zwei Mitarbeitende hatten übrigens kein eigenes Smartphone. Neben einem fest installierten Tablet auf Station haben wir diesen Mitarbeitenden im Projekt auch Smartphones zur Nutzung von unterwegs zur Verfügung gestellt.

[WERBUNG] Flexible Arbeitszeiten in den Sozial- und Pflegeberufen sind eine Herausforderung. Schließlich funktioniert die Übergabe nicht, wenn Pflegekräfte Gleitzeit machen, und Erzieher müssen mit festen und immer mehr ausgeweiteten Arbeitszeiten dafür sorgen, dass Mitarbeiter *innen anderer Branchen flexible Arbeitszeiten leben können. Doch trotzdem, nicht erst mit der Generation Y wird auch in unserer Branche der Ruf nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer lauter. Wir müssen uns was einfallen lassen. Eine Inspiration kann Ulrike Hellerts Fachratgeber „Arbeitszeitmodelle der Zukunft“ (Haufe Verlag, 2018; Amazon Affiliate Link) sein.

Was können die Mitarbeitenden in der Dienstplan-App genau machen?

Sie können zunächst die digitale Dienstplanung auch auf dem Handy einsehen. Im zweiten Schritt sollen sie ab 2019 auch Einsatzwünsche in der App hinterlegen und Dienste tauschen können, ohne dass die Führungskraft noch eine Freigabe erteilen muss. Der App liegt ein lernender Algorithmus zugrunde, der mit der Zeit immer besser versteht, wer wann und mit wem am liebsten zusammenarbeitet. Sie hat ein erhebliches Potential, den Arbeitsaufwand für die Dienstplanung zu senken, und ist ein ganz konkretes Beispiel, wie die Digitalisierung in sozialen Einrichtungen umgesetzt werden kann. Wir wären da gern schon weiter, aber das Thema Datenschutz hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es war allein schon ein Problem, dass man die Dienste der anderen nun auch außerhalb der Einrichtung einsehen konnte, wo möglicherweise auch Unbefugte Einblick haben. Wir mussten die App also so umstellen, dass man nur seine eigenen Dienste einsehen kann. Aber das ist nicht Sinn der Sache – man möchte ja wissen, mit wem man zusammenarbeitet. Bis das Potential der neuen Arbeitszeitmodelle in der Pflege und das Konzept “Digitale Dienstplanung in der Pflege” vollends umgesetzt ist, ist es noch ein Stück Weg.

Wo war der Datenschutz noch ein Problem?

Beim Thema Krankmeldungen. Die App registriert, wer wann wie lange krank ist. Die anderen Kollegen können einsehen, wer sich krankgemeldet hat. Da kann man natürlich Angst vor dem Datenkraken bekommen. Dabei geht es nicht darum, einzelne krank gemeldete Mitarbeitende zu verdächtigen, vielleicht gar nicht krank zu sein. Obwohl eine gewisse Peer-Kontrolle nicht schlecht ist. Es geht vielmehr darum, den Krankenstand dauerhaft zu senken, indem man die Daten anonymisiert auswertet und Verbesserungen daraus ableitet. Die Krankenstände unserer Dienststellen können so untereinander oder mit den Durchschnittswerten der Branche verglichen werden. Wenn im November der Krankenstand wegen Grippe und Magen-Darm-Viren regelmäßig am höchsten ist, kann man mit einer geringeren Nettoarbeitszeit planen und frühzeitig Zeitarbeitskräfte anfordern. Das kostet zwar Geld, ist aber insgesamt effizienter und sorgt für eine kontinuierliche Versorgung unserer Bewohner.

Woher nehmen Sie Ihre Zeitarbeitskräfte?

Wir haben eine eigene Tochtergesellschaft dafür gegründet: unsere Personal- und Servicegesellschaft. Im Moment sind dort fünf Mitarbeitende angestellt. Sie bekommen eine höhere Vergütung als unsere regulären Pflegefachkräfte und einen Dienstwagen, dafür fordern wir aber eine höhere Flexibilität. Die Kollegen müssen nicht in ganz Thüringen, aber doch in einer größeren Region da einspringen, wo wir sie gerade brauchen. Es sind keine richtigen Zeitarbeiter, sie laufen durchaus im Stellenplan mit. Es sind Springer. Die kosten uns Geld, aber Zeitarbeiter von einem Dienstleister würden uns doppelt so viel bis viermal so viel kosten. Außerdem reichen uns fünf Springer für einen Träger von 1.400 Mitarbeitenden, um über die Runden zu kommen.

Gibt es schon erste Erfolge Ihrer neuen Strategie?

Wir merken eine vorsichtige Entspannung der vorher extrem angespannten Personallage. Junge Nachwuchskräfte interessieren sich wegen der neuen Arbeitszeitmodelle in der Pflege und der digitalen Dienstplanung vermehrt für uns, der Krankenstand ist gesunken. Natürlich haben wir immer noch unbesetzte Stellen, aber wir haben keinen Arbeitsbereich mehr, der seine Leistungen aufgrund von Personalmangel einschränken muss. Unsere Bemühungen werden auch von Bewerbern und Mitarbeitenden positiv wahrgenommen und verbreiten sich über Mund zu Mund-Propaganda oder in den Fachmedien. Eines der wichtigsten Learnings für mich ist, dass es nicht die eine wahre Lösung für alle gibt. In 2019 werden wir weitere Dienststellen durch den gesamten SITA-Prozess führen. Es ist möglich, dass sich für diese Einrichtungen eine ganz andere Strategie entwickelt. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden sich auf etwas Neues einzulassen ist die Voraussetzung für das Gelingen des Projektes.

Wie ist das Projekt SITA in Ihre anderen Aktivitäten eingebettet?

Seit zwei Jahren bearbeiten wir das Thema Personalgewinnung und –bindung intensiv auf Geschäftsführungsebene. Verschiedene Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Themen wie Gesundheitsmanagement (Thüringer Siegel für Gesundheit), Vergütung (Tarif) und Führungskultur (weg von den streng hierarchischen Strukturen). Personalgewinnung ist ein weiterer Aspekt. Eine Recruiterin wurde eingestellt, die mit den Methoden von Headhuntern auf dem freien Markt arbeitet, jedoch angepasst an das diakonische Profil. Dabei nutzt das Unternehmen  beispielsweise Möglichkeiten wie „Facebook Jobs“ und Maßnahmen des professionellen Employer Brandings.

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4 Kommentare

  1. Ich finde eine Dienstplan-Software für den Pflegebereich als App ist eine sehr gute Idee, um flexibler in der Planung zu werden. Zusätzlich denke ich, die Idee mit den 12-Stunden Schichten am Wochenende könnte vielen Arbeitskräften helfen, die Arbeit mit dem Privatleben besser zu vereinbaren. Gut, dass in unterschiedliche Richtungen gedacht wird, um kreative Lösungsansätze für die Mitarbeiter zu finden.

  2. Maja Roedenbeck Schäfer

    29. April 2019 um 22:28 Uhr

    Hallo Neeltje, vielen Dank für deinen Kommentar! Ja, wenn man sich auf die Suche macht, gibt es auch in der Pflege innovative Ansätze. LG, Maja

  3. Hallo,
    wir sind auch gerade in der “Findungsphase” in einem APH.
    Darf man den hier erfahren, um welches Dienstplanprogramm es sich im Text handelt, es klingt sehr interessant.

  4. Maja Roedenbeck Schäfer

    24. September 2019 um 16:21 Uhr

    Lieber Leser, bitte wende dich mit deiner Frage direkt an Karsten Stüber, Diako Thüringen! https://www.diako-thueringen.de/organisation_seniorenhilfe_de.html Gruß, Maja

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