Ausbildung für Flüchtlinge? Viele Unternehmen überlegen, mit diesem Ansatz ihre Fachkräfteengpässe zu überbrücken.

In der Pflege beginnen viele Integrationsprogramme für Geflüchtete mit einer Qualifizierungsmaßnahme. Die Diakonissen Speyer-Mannheim und der Verein zur Förderung der beruflichen Bildung e.V. (VFBB) haben sich für ihre Qualifizierungsmaßnahme für Geflüchtete mehrere besondere Anreize ausgedacht: So können die Teilnehmer*innen zwischen den Einsatzbereichen Krankenpflege, Altenpflege oder Hauswirtschaft wählen und kostenlos den Führerschein machen. Bei erfolgreichem Abschluss und Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben erhalten sie in der Regel einen Ausbildungsplatz, zum Beispiel als Alten- oder Krankenpflegehelfer.

Michael Wendelken, Leiter der Personalentwicklung, hält im Gegensatz zu vielen anderen Projektleitern im internationalen Recruiting die Altenpflege für einen guten Einsatzbereich für Geflüchtete: wegen der Konstanz bei den Bewohnern und der hohen Akzeptanz durch die Bewohner. Übrigens wird bei den Diakonissen Speyer-Mannheim neben Maßnahmen zur Integration von Geflüchteten auch über ein Anerkennungsqualifizierungskonzept für reguläre Arbeitsmigranten, also Fachkräfte aus dem „Nicht EU-Ausland“, nachgedacht.

Wie ist Ihre Qualifizierungsmaßnahme für Geflüchtete aufgebaut?

Sie besteht aus einem achtmonatigen Langzeitpraktikum mit enger Begleitung und Anleitung durch Mentoren. Dieses findet vormittags statt. Nachmittags gibt es Unterricht zu pflegerischen Grundlagen und Deutsch mit Fachbezug durch den VFBB. Das Mindestalter für die Teilnahme ist 21, der Altersdurchschnitt liegt jedoch sogar bei 29 Jahren. Die Teilnehmer sollten einen Hauptschulabschluss oder zehn Jahre Schule und Deutschkenntnisse auf B1 Niveau mitbringen.

Wir haben uns ganz bewusst entschieden, mit etwas älteren Teilnehmern zu starten, die nicht mehr so sprunghaft und geübter in der Selbstreflektion sind. Beim Alter und bei den Sprachkenntnissen haben wir Ausnahmen gemacht, was sich besonders bei der Sprache als problematisch erwiesen hat. Neben Geflüchteten sind auch Migranten mit anderer Vorgeschichte unsere Zielgruppe.

Gibt es zusätzliche Teilnahmeanreize?

Den Führerschein haben wir uns als zusätzlichen Teilnahmeanreiz ausgedacht, aber er hat auch einen wichtigen Hintergrund: Im Vergleich zur Großstadt muss das Pflegepersonal im ländlich geprägtem Umfeld mobil sein, nicht nur in der ambulanten Pflege. Da der öffentliche Nahverkehr nicht so gut ausgebaut ist wie in den Großstädten, braucht man ein Auto, um zur Früh- oder Nachtschicht zu kommen. Der Führerschein wird erst ganz am Ende gemacht, wenn die Teilnehmer die Maßnahme durchgehalten haben. Viele hatten im Heimatland keinen Führerschein und hätten sich die teuren Fahrstunden hier niemals leisten können.

Deutschkenntnisse sind als Voraussetzung für die Integration ausländischer Fachkräfte unerlässlich. Warum die meisten Arbeitgeber Niveau B2 verlangen, lesen Sie in „Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann“ von Maja Roedenbeck Schäfer (Walhalla Verlag, 2018; Amazon Affiliate Link). Lieber die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse anstreben und berufserfahrene Fachkräfte einstellen oder eine Ausbildung für Flüchtlinge / Geflüchtete oder internationale BewerberInnen anbieten? Argumente und Entscheidungshilfen finden Sie ebenfalls in meinem Fachratgeber.

Wer sind Ihre Kooperationspartner?

Projektpartner sind die regionalen Agenturen für Arbeit und Jobcenter, denn die Maßnahme wird über Bildungsgutscheine finanziert. Die Teilnehmer werden uns durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter vermittelt. Unser wichtigster Partner ist aber der Verein zur Förderung der beruflichen Bildung e.V. (VFBB). Er übernimmt die Informationsveranstaltungen, die Konzeption des Curriculums, die Vorauswahl und die sozialpädagogische Begleitung der Teilnehmer.

Ich kann nur jedem Träger raten, sich einen erfahrenen Partner an die Seite zu holen, der sich mit der Zertifizierung solcher Maßnahmen auskennt. Mit dem VFBB haben wir nur wenige Monate für die Vorbereitung gebraucht. Ein differenziertes Auswahlverfahren ist sehr wichtig. Hier leistete der VFBB eine gute Vorarbeit und die Teilnehmer mussten sich zusätzlich in ihrem Wunschbereich vorstellen. Erst nach der Zustimmung unsererseits konnten die Interessenten an der Maßnahme teilnehmen.

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Welche Bilanz ziehen sie nach einem Jahr Qualifizierung und Ausbildung für Flüchtlinge beziehungsweise Geflüchtete?

Von 16 Teilnehmern können wir elf kurz- bis mittelfristig ein Ausbildungsangebot unterbreiten. Das halte ich für eine ansprechende Erfolgsquote. Zwei befinden sich schon in der Ausbildung und vier weitere beginnen demnächst damit, müssen aber z. T. erst noch die Sprachprüfung bestehen oder den notwendigen Schulabschluss nachholen. Die anderen brauchen noch etwas länger dafür und werden voraussichtlich 2019 in die Helferausbildung einsteigen.

Eine Teilnehmerin war gelernte Hebamme. Für sie haben wir nach längerer Suche eine Schule gefunden, in der sie eine verkürzte Ausbildung (als Anerkennungsqualifizierung) machen könnte. Für die Hauswirtschaft als Schwerpunkt hat sich in der ersten Runde nur eine Person interessiert. Sie hat die Maßnahme zwar beendet, ist jedoch dann wieder in ihre Familie zurückgekehrt, weil sie kein Interesse an einem beruflichen Einstieg mehr hatte. Mit ihren Deutschkenntnissen auf Level A1 wäre das auch schwierig gewesen.

Aber man darf die Bilanz nicht nur in Zahlen sehen. Wir haben viele schöne zwischenmenschliche Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel die Verabschiedungsfeier mit den Teilnehmern, die sich alle in Schale geworfen hatten und uns zurückgemeldet haben, dass sie sich sehr gut von uns angenommen gefühlt hätten. Oder ein Teilnehmer in der Altenpflege, der bei den Bewohnern derart beliebt ist, dass sie sich alle dafür engagieren, dass er bleiben kann. Eine Seniorin, die in ihrem Berufsleben Sekretärin war, hat ihm zusätzlich Sprachförderung gegeben.

Wie geht es weiter?

Wir hätten gerne im Mai einen zweiten Projektdurchlauf gestartet, aber derzeit sieht es so aus als würden wir über die Arbeitsagenturen bzw. die Jobcenter nicht mehr genügend Teilnehmer zusammenbekommen. Das ist schade, denn das Konzept steht, wir hatten sogar einige Optimierungen vorgesehen. Zum Beispiel würden wir die sprachliche und praktische Ausbildung in Zukunft in wechselnden Blöcken anbieten, damit sich die Teilnehmer auf eine Sache konzentrieren können.

Auch können viele geflüchtete Menschen inzwischen besser Deutsch als noch vor einem Jahr. Viele haben die Sprachkurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge durchlaufen. Das wären optimale Startbedingungen. Es gibt auch immer noch eine große Flüchtlingsunterkunft in Speyer, daher verstehe ich nicht, warum es uns an Teilnehmern mangelt. Trotzdem hat das Projekt in unserem Haus vieles angestoßen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Projektteilnehmern in der Altenpflege gemacht?

Viele Träger berichten, dass ausländische Mitarbeiter sehr schnell in die Krankenpflege abwandern und sich das Engagement für Träger der Altenhilfe im Bereich internationales Recruiting nicht lohnt. Wir machen da ganz andere Erfahrungen, auch in anderen Projekten. Wer sich für die Altenpflege entscheidet, tut das oft sehr bewusst. Er möchte Beziehungsarbeit machen und sich nicht ständig an neue Patienten gewöhnen. Bei den Diakonissen Speyer-Mannheim haben wir lange vor dem neuen Pflegeberufegesetz eines der ersten Pilotprojekte zur  generalistischen Pflegeausbildung angeboten.

Da es ein Modellprojekt war, lernten die Teilnehmer zwar generalistisch, mussten sich aber trotzdem für einen der gesetzlich regulierten Abschlüsse entscheiden: Alten- oder Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege. Sie konnten aber innerhalb eines halben Jahres Zusatzausbildung den zweiten Abschluss nachholen. Viele Teilnehmer, die sich anfangs für die Altenpflege entschieden hatten, haben diese Chance genutzt, sind aber nach dem zweiten Berufsabschluss in der Krankenpflege trotzdem wieder in die Altenpflege zurückgekehrt. Und das sind Topkräfte, weil sie z.B. die Schnittstellenproblematik zwischen Krankenhaus und Pflegeheim gut verstehen.

Welche Empfehlungen haben Sie?

Ich würde anderen Trägern durchaus empfehlen, ein solches Projekt auf die Beine zu stellen. Zwar weichen unser Pflegeverständnis und die Arbeitsabläufe in den Pflegeheimen deutlich von denen anderer Länder und Kulturen ab und das deutsche Ausbildungssystem ist für die Personen aus dem Ausland sehr oft schwer verständlich. Aber es gibt genügend Menschen, die ein Interesse daran haben, auch solche, die vorher nichts mit Pflege am Hut hatten. Sie haben verstanden, dass die Altenpflege eine echte Perspektive für sie ist.

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