Derya kann bereits auf einen bewegten Lebenslauf zurückblicken, obwohl sie erst 28 Jahre alt ist. Das liegt nicht etwa daran, dass sie wankelmütig wäre, sondern daran, dass sie in ihrem ursprünglichen Berufswunsch Lehrerin zu werden ausgebremst wurde. Sie musste einen Umweg nehmen, um ihr Ziel, in der Schule zu arbeiten, zu erreichen. Ihre Geschichte zeigt vielerlei: Dass der Lehrermangel zum Teil auch hausgemacht ist. Dass bewegte Lebensläufe für ein ausgeprägtes Durchhaltevermögen auf dem Weg zum Traumberuf stehen können. Dass es eine ganz konkrete Persona und vielversprechende Marketingzielgruppe im Kampf gegen den Erziehermangel gibt, die im Personalmarketing noch viel deutlicher und direkter angesprochen werden könnte: Menschen, die nach der Schule gerne Lehrkräfte geworden wären, aber keine Chance dazu bekommen haben und nicht wissen, dass Erzieher auch in Schulen eingesetzt werden können.
Derya, welche verschiedenen Ausbildungswege sind Sie gegangen und warum?
Nach dem Mittleren Schulabschluss wollte ich mein Abitur machen, hatte dafür aber nicht die passenden Noten. In einem Wiederholungsjahr wollte ich meine Noten verbessern, bekam dann aber das Angebot, mein Fachabitur zusammen mit dem Abschluss zur Gestaltungstechnischen Assistentin (GTA) zu machen. Die drei Jahre habe ich durchgezogen und beide Abschlüsse erworben. GTA ist ein staatlich anerkannter Berufsabschluss in Deutschland. In diesem Beruf unterstützt man Grafikdesignerinnen und -designer bei der Gestaltung von Websites, Flyern und anderen Print- und Online-Medien sowie bei der Bildbearbeitung.
Nach wie vor war mein Plan aber, Lehrerin zu werden, und da ich ja nun das Fachabitur hatte, habe ich mich an der Universität Potsdam für das Studium Grundschullehramt beworben. Ich kam aber nicht rein. Etwas anderes wollte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht machen und habe zwei Jahre lang bei der Bekleidungskette Esprit gejobbt und es noch zweimal mit der Bewerbung versucht. Dann habe ich die Geduld verloren und eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement begonnen. Ich habe aber Bekannte, die es weiter versucht und nach fünf Jahren Wartezeit endlich einen Studienplatz für das Grundschullehramt bekommen haben.
Wie ging es weiter?
Schon nach einem halben Jahr in der Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement habe ich gemerkt, dass das nichts für mich ist, obwohl meine Noten super waren. Ich habe die Ausbildung abgebrochen und wieder im Einzelhandel bei Tom Tailor angefangen, wo ich insgesamt zwei Jahre blieb. Innerhalb von einem halben Jahr habe ich mich zur stellvertretenden Storemanagerin hochgearbeitet und bekam das Angebot, die Ausbildung als Storemanagerin zu machen. Aber dann kam die Pandemie, der Einzelhandel brach zusammen und ich habe gemerkt, wie sich das Geschäft auf den Onlinehandel konzentriert. Ich sah keine Zukunft mehr in der Branche.
Dann war ich erstmal etwas planlos. Ich habe eine Kosmetikausbildung und eine Weiterbildung als Wimpernstylistin privat bezahlt und abgeschlossen und anderthalb Jahre in diesem Bereich gearbeitet. Das hat Spaß gemacht, aber mich nicht wirklich erfüllt. Mein Wunsch war es immer noch, Lehrerin zu werden beziehungsweise mit Schulkindern zu arbeiten. Von einer Freundin erfuhr ich dann, dass man die Erzieherausbildung auch in der Grundschule machen kann. Und so habe ich zum guten Schluss diese Ausbildung begonnen. Ich bin jetzt am Ende des zweiten Jahres von insgesamt drei Ausbildungsjahren.
Macht es Sie wütend, wenn Sie vom Lehrermangel lesen, während man Sie abgewiesen hat?
Ja, das ist schon ärgerlich. Ich frage mich auch, warum man uns in der Oberschule nur die klassischen Ausbildungen und Studiengänge vorgestellt hat und nicht die ganzen neuen Wege und Möglichkeiten, die auch in Wunschberufe führen. Ich hätte ja zum Beispiel erstmal ein Schulfach ohne Pädagogik studieren und mich später für den Quereinstieg bewerben können.
Mir war auch nicht bekannt, dass man die Erzieherausbildung nicht nur in Kitas machen kann. Auch darüber sollte viel mehr informiert werden. Es gibt so viele Einsatzmöglichkeiten für Erzieherinnen und Erzieher: man kann in Wohngruppen arbeiten, mit Kleinkindern, Grundschulkindern oder Jugendlichen, im Jugendclub und vieles mehr.
Wie wurde Ihr bewegter Lebenslauf in den verschiedenen Bewerbungsprozessen wahrgenommen?
Im Bewerbungsprozess für die Erzieherausbildung wurde er im Vorstellungsgespräch positiv, aber beim vierstündigen Probearbeiten im Team negativ aufgenommen. Ich wurde gefragt, ob ich mir wirklich sicher bin mit meiner neuen Berufswahl, da ich ja schon einiges gemacht hätte. Als ich das bejaht und mit meinem ursprünglichen Berufswunsch begründet habe, bekam ich als Reaktion ein herablassendes Schmunzeln. Andere haben es aber sehr positiv aufgenommen und das Ganze gelobt, weil ich so viel aus jedem einzelnen Beruf mitnehmen konnte, das sich positiv auf meinen Beruf als Erzieherin ausübt. Ob das meine kreative Ader ist oder der Umgang mit Kindern und Erwachsenen.
Ich selbst schätze es so ein, dass mir die begonnene Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement nicht viel gebracht hat. Aber aus meiner Zeit im Einzelhandel konnte ich viel mitnehmen, das mir heute in der Kommunikation hilft. Ich war früher sehr schüchtern und zurückhaltend und bin durch die Jobs bei Esprit und Tom Tailor sehr aus mir herausgekommen.
Weiterlesen im Fachratgeber
Auf folgende Fragen geht Derya in meinem Fachratgeber „Quereinstieg: Potenziale nutzen, Personallücken schließen“ (Walhalla Fachverlag, 2025) ein. Ihre Antworten zeigen einstellenden Unternehmen, wie Quereinsteiger*innen im Team klarkommen und mit welcher Verweildauer bei Quereinsteigenden zu rechnen ist:
- Wie ist es, mit jüngeren Menschen, die gerade erst die Schule abgeschlossen haben, im Theorieunterricht der Erzieherausbildung zu sitzen?
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Identifizieren Sie sich als Quereinsteigerin und wie gehen die Erzieherinnen und Erzieher mit „normalem Bildungsweg“ mit Ihnen um?
- Möchten Sie im Erzieherberuf bleiben oder haben Sie weitere Karriereziele?
Ob als umgeschulte Betreuungskraft in einer Pflegeeinrichtung oder als Informatikerin beim Bundesverwaltungsamt, als Musiker im Lehramt oder Hausnotruf-Kundenbetreuerin ganz ohne Qualifikation – Quereinsteigende bilden eine tragende Säulein vielen Berufsfeldern. Längst nicht mehr nur als Notlösung, sondern zunehmend als wichtige Stellschraube gegen den Fachkräfte- und Personalmangel verstanden, sind sie gefragt wie nie. Und mit engagierter Personalentwicklung oft sogar mittelfristig als „echte“ Fachkräfte einsetzbar.
In meinem Fachratgeber „Quereinstieg: Potenziale nutzen, Personallücken schließen: Ein Recruitingleitfaden für Behörden und gemeinnützige Organisationen“ (Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Fachverlag, 2025) erfahrt ihr mehr über die Erfolgsfaktoren eines strukturierten Quereinsteiger-Programms. Außerdem gibt es Best Practice-Beispiele u.a. aus den Bereichen Kita, Pflege und Verwaltung.
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