Kann ich als leitender Arzt oder leitende Ärztin zur Mitarbeitergewinnung beitragen, und wenn ja, wie? Zu dieser Leitfrage war ich in den Podcast „Level up Klinikführung“ des IWW-Instituts für Wissenschaft in der Wirtschaft mit Dr. Benedict Carstensen eingeladen. Kleiner Spoiler: Die Antwort lautet natürlich: JA. Mehr über das WIE könnt ihr im Podcast hören, den ich unten verlinkt habe. Oder alternativ einen Auszug aus dem Interviewskript auch hier lesen.
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Benedict: Viele Chefärzte haben das Gefühl, sie machen schon alles – und trotzdem kommt kaum jemand. Was würdest du sagen, was unterscheidet leitende Ärzt*innen, die noch Bewerber*innen finden, von denen die keine mehr bekommen?
Maja: Mit dem Recruiting ist man nie „fertig“, man hat nie „schon alles gemacht“. Recruiting ist heutzutage einfach extrem viel Arbeit und man darf nie locker lassen. Alle machen es inzwischen sehr professionell und man muss anderen Arbeitgebern oder anderen Abteilungen im eigenen Unternehmen immer einen Schritt voraus sein. Man muss in der Abteilung immer wieder neue Anlässe schaffen, die die Möglichkeit bieten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und das Personalmarketing einzuhaken. Man muss das gesamte Team im Umgang mit Bewerbenden schulen. Von der Sekretärin, die Bewerbende am Telefon hat, über die Kolleg*innen, die für die Hospitation zuständig sind, bis hin zu sich selbst als Führungskraft. An jeder Stelle kann etwas im Bewerbungsprozess schiefgehen. Man kann außerdem JEDE angewandte Methode des Recruitings optimieren. Noch schneller auf Bewerbungseingänge reagieren, noch ansprechendere Stellenanzeigentexte schreiben.
Wenn das Unternehmen zum Beispiel ein Mitarbeiter werben Mitarbeiter-Programm mit Prämie anbietet, dann reicht es nicht, wenn die Unternehmenskommunikation das einmal ins Intranet schreibt. Jede Führungskraft muss ihre Mitarbeitenden immer wieder daran erinnern und motivieren teilzunehmen. Zum Beispiel, indem man große Tandem-Fotos von Mitarbeitenden, die schon jemanden empfohlen haben, zusammen mit der empfohlenen Person aufhängt. Indem man Interviews mit ihnen für Social Media und den Karriereblog aufzeichnet. Wir haben einmal einen Flyer in die Gehaltsabrechnung gelegt, das ginge auch digital. Man könnte auch einen kleinen Team-Wettbewerb ausrufen: Wer tätigt im nächsten halben Jahr die meisten Empfehlungen? So etwas funktioniert auf Teamebene viel besser als auf Unternehmensebene.
Du sprichst ja mit vielen Kliniken und Verantwortlichen. Welche Mythen oder Fehleinschätzungen erlebst du beim Thema Recruiting immer wieder?
Das typische Vorurteil ist natürlich das von den schlimmen Bewerber*innen von heute. Die hohen Ansprüche, also dass sie schon als Berufseinsteiger*innen Teilzeit fordern. Das Ghosting, also das Abbrechen des Bewerbungsprozesses, ohne sich zu erklären. Bewerbungen ohne Anschreiben und mit abfotografierten Zeugnissen per WhatsApp oder die Leute, die trotz unterschriebenem Arbeitsvertrag kurz vor dem ersten Arbeitstag absagen oder einfach nicht erscheinen.
Viele Führungskräfte verstehen solche Dinge als persönlichen Angriff, nennen die Bewerber faul und unmotiviert. Sie sehen nicht, dass es zum Zeitgeist gehört, dass keiner mehr bis zum Umfallen Arbeiten möchte, auch junge Ärzt*innen nicht. Dass es eine logische Folge von Social Media ist, dass Bewerber, nachdem sie ein TikTok Video vom Arbeitgeber gesehen und dadurch den Bewerbungsimpuls bekommen haben, sich schnell auf WhatsApp bewerben. Oder dass sie sich ein Anschreiben von ChatGPT erstellen lassen, nachdem sie sowieso schon die KI nach guten Arbeitgebern gefragt haben. Die Führungskräfte sehen auch nicht, dass sie selber etwas tun können, um Trends wie dem Ghosting entgegenzuwirken, das seinen Grund einfach im Arbeitnehmermarkt hat. Zum Beispiel vor dem Onboarding noch eine Preboarding-Phase einführen, in der neue Mitarbeitende schon vor dem ersten Arbeitstag durch Kommunikationsmaßnahmen gebunden werden, um kurzfristige Absagen zu vermeiden.
Wer ist eigentlich verantwortlich dafür, dass Bewerber kommen?
Schon vor 16 Jahren, als ich mit dem Recruiting im Sozial- und Gesundheitswesen anfing, habe ich in meinen Vorträgen eine Folie mit einem Ausschnitt aus dem Arbeitsvertrag von Facebook gezeigt. Darin stand: Jeder Mitarbeitende ist mit zuständig und mit verantwortlich für die Gewinnung von neuen Mitarbeitenden und dafür, die besten Programmierer der Welt zu Facebook zu holen. Das haben die Mitarbeitenden mit dem Arbeitsvertrag unterschrieben. So wurde von Anfang an allen klargemacht, dass man die Personalgewinnung nicht der Personalabteilung, der Unternehmenskommunikation oder dem Recruiting Team, wenn es das schon als eigenständige Abteilung gibt, alleine zuschieben darf.
Letztlich ist es eine Aufgabenteilung. Das Recruiting Team kann durch gute Suchmaschinenoptimierung, Social Media-Ads, moderne Stellenanzeigentexte und noch ein paar Tricks und Kniffe die Zahl der Bewerber steigern. Ich habe sie bei den DRK Kliniken Berlin von 3.500 auf über 15.000 im Jahr gesteigert. Aber das alleine hilft nicht. Man muss sich dann auch mit dieser Masse an Bewerbern auseinandersetzen. Das sind natürlich nicht alles A-Kandidaten, sprich berufserfahrene Personen, die bereitwillig in Vollzeit im Schichtsystem arbeiten möchten. Bei den A-Kandidaten muss man rasend schnell sein, damit sie nicht von anderen Arbeitgebern vom Markt geholt werden. Sprich Einladung zum Vorstellungsgespräch noch am selben Tag per Mail, Telefon UND WhatsApp versenden. Die Puste darf einem nicht ausgehen, wenn man die gar nicht infrage kommenden Bewerbungen aussortiert, denn davon kommen dann natürlich auch mehr. Innovative Programme müssen entwickelt werden, um B- und C-Kandidaten an Bord zu holen und sie intern (möglichst zu vollwertig einsetzbaren Fach- und Arbeitskräften) weiterzuentwickeln. Damit meine ich Minijobber*innen in der Pflege oder Quereinsteiger*innen aus anderen Fachgebieten, die vielleicht das Facharztgebiet nochmal wechseln möchten, ausländische Kandidat*innen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen.
Ich erlebe oft, dass leitende Ärzte mir sagen: Unsere Anzeige ist bei xy geschaltet, aber es kommt nichts. Welche Kanäle bringen wirklich Bewerber? Und welche werden überschätzt? Also wie groß ist der Anteil klassischer Stellenanzeigen im Vergleich zu Social Media, Mundpropaganda oder persönlichen Kontakten?
Ich schalte nur in den allerseltensten Fällen noch Stellenanzeigen in zahlungspflichtigen Kanälen, zum Beispiel in einer Stellenbörse von einer medizinischen Fachgesellschaft und einmal im Jahr vielleicht ein Bündel aus fünf Oberarzt-Anzeigen bei praktischarzt.de oder aerztestellen.aerzteblatt.de (ausschließlich online). Viel wichtiger ist es, die Reichweite zu erhöhen, indem man die einzelnen Stellenanzeigen und das gesamte Karriereportal für die Suchmaschinen optimiert. Man kann viel Geld für die Schaltung von Stellenanzeigen sparen, wenn man es in die Suchmaschinenoptimierung steckt und für Traffic insgesamt auf dem Karriereportal sorgt. SEO hat nicht nur redaktionelle, sondern auch technische Faktoren, für die man eine Agentur braucht.
Wähle außerdem ein gutes Bewerbermanagementsystem aus, das die Stellenanzeigen automatisch in ein paar wichtige Stellenbörsen spiegelt. Sorgt dafür, dass die Stellenanzeigen im Google Jobs-Fenster angezeigt werden, und neuerdings sorgt auch dafür, sie für KI zu optimieren. Wie das genau geht, müssen wir Recruiter*innen jetzt erst lernen, denn die Algorithmen kennt man ja nicht, aber auf jeden Fall zeigt sich schon, dass Bewerber*innnen nicht mehr Google, sondern ChatGPT nach Stellenanzeigen fragen. Und man weiß, dass dabei andere Ergebnisse rauskommen als bei Google. Künstliche Intelligenz zieht zum Beispiel noch stärker strukturierte Webseiten wie Kununu, also Arbeitgeberbewertungsportale für die Antworten heran.
Der zweite wichtige Weg ist die Reichweitensteigerung durch persönliche Kontakte. Das funktioniert sowieso viel besser als das Gießkannenprinzip der Stellenbörse. Dazu gehören die schon erwähnten Mitarbeiter werben Mitarbeiter-Programme, Corporate Influencer-Programme und Engagement von Führungskräften, also auch Chefärzt*innen, bei LinkedIn. Dann noch einmal im Jahr eine Offensive mit Social Media-Werbeanzeigen – aber guten bitteschön – und dann sollte es genug Reichweite geben, um genug Bewerbungen zu bekommen.
Wie wichtig ist denn eigentlich die Arbeitsatmosphäre und der Zusammenhalt im Team. Oder der Stresspegel?
Für die Mitarbeiterbindung sind das natürlich sehr wichtige Themen, an denen man als Führungskraft ebenfalls permanent mit neuen Maßnahmen arbeiten muss. Gerade weil sich in den Teams immer mehr unterschiedliche Qualifikationsniveaus versammeln: Quereinsteiger*innen, ausländische Mitarbeitende, Hilfskräfte, Fachkräfte, studierte Kräfte, studentische Hilfskräfte. Eine gute Arbeitsatmosphäre, die sich nachweisen lässt durch authentische Mitarbeitertestimonials und gute Bewertungen auf Kununu, hat unmittelbar Einfluss auf die Personalgewinnung.
Du hast ja vor wenigen Jahren den HR-Excellence Award gewonnen, der von einem großen HR-Magazin vergeben wird. Die Jury legt ja hier viel Wert auf Innovativität und Kreativität. Was würdest du machen, wenn du leitende Ärztin wärst einer chirurgischen Abteilung wärst?
Ich habe den HR Excellence Award sogar zweimal gewonnen und noch einige andere Awards. Bei so einem Award zählen nicht nur die innovativen Ideen, sondern auch die Erfolge in Zahlen (nicht nur Klickzahlen, sondern Einstellungen). Ich muss von Anfang an mitdenken, wie ich das messen kann. Außerdem ist es sehr wichtig, wie man die Einreichungsunterlagen aufbereitet, da gibt es auch ein paar Tricks.
Zwei Beispiele für innovative Ideen: Bei den DRK Kliniken Berlin haben wir Dr. Pschowski, der den Gastro Slam organisiert. Das ist eine total lustige Fallkonferenz, bei der medizinische Fallbeispiele mit Humor vorgestellt werden. Dabei kann man super Social Media-Content produzieren, viele Gastro-Teams aus anderen Gesundheitsunternehmen gehen da als Teamausflug hin (Stichwort: Teamatmosphäre) und dazu kann man auch Bewerbende einladen, um die Ärzt*innen der Abteilung mal in einem anderen Format kennenzulernen als im Vorstellungsgespräch.
Oder unser Prof. Timmermann hat ein großes Programm für Werkstudenten im Medizinstudium in der Anästhesie aufgesetzt. Das hat zwei Effekte, erstens kann er schon frühzeitig spätere Assistenzärzte kennenlernen und zweitens wurden die Werkstudenten auch zur Entlastung unterbesetzter Pflegeteams eingesetzt. Natürlich alles in Absprache mit der Pflegedienstleitung und regelkonform.
Und wenn das Recruiting im Haus einfach weiter nur klassische Stellenanzeigen schaltet oder auf Jobmessen fährt? Was würdest du dann machen?
Dann würde ich zur Geschäftsführung gehen und Beispiele von den zahlreichen anderen Krankenhäusern und Gesundheitsunternehmen zeigen, die modernes Recruiting machen, damit Preise gewinnen, in der Tagesschau erwähnt werden, so wie wir mit unserer Recruitingstrategie, und eben auch nachweislich die Bewerberzahlen steigern.
Chefärzte und soziale Medien: Wie wichtig ist die Präsenz von Chefärzten bspw. auf Linkedin? Wie kann ich Linkedin gut nutzen um Bewerber für offene Stellen zu bekommen?
Dazu habe ich ein Tutorial bei YouTube gemacht:
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Gibt es noch etwas zum Thema Recruiting oder Personalmarketing, das du unseren Zuhörern mitgeben willst – etwas, das die besonders wichtig ist?
Man muss Spaß daran haben und es nicht als lästige Pflicht verstehen. Recruiting ist toll! Es ist ein bisschen vergleichbar mit dem Arbeiten in einem Start up oder in einem sich ganz neu entwickelnden Arbeitsfeld wie KI. Es gibt kaum einen Bereich im Krankenhaus, wo man so frei ist in der Ausgestaltung. Man kann sich ausprobieren, Lorbeeren für innovative Ideen einheimsen, stolz auf Erfolge sein. Wenn man als Chefarzt*ärztin selbst im Recruiting aktiv ist und das Team miteinbezieht, erleben alle eine Selbstwirksamkeit. Man fühlt sich dem Personalmangel und der Krise im Gesundheitswesen nicht mehr ausgeliefert und das wirkt sich sehr positiv auf die Motivation aus.
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