Die Stadt Essen versteht unter Quereinsteiger*innen Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung bzw. mit begonnenem oder abgeschlossenem Studium egal welcher Fachrichtung und bietet ihnen bereits seit 2015 verkürzte Qualifizierungsangebote. Dazu gehören der Abschluss Verwaltungswirt/-in  sowie der Abschluss Verwaltungsfachwirt/-in jeweils mit zwei verschiedenen Schwerpunkten.

Der Schwerpunkt Digitales ist die jüngste Ergänzung des Programms. Mit einer Landingpage, LinkedIn-Posts und YouTube-Videos macht die Stadt Essen auf das Angebot aufmerksam. Im Video erzählt Asya, 26, die den Lehrgang zur Verwaltungsfachwirtin mit dem Schwerpunkt Soziales belegt hat, dass sie ursprünglich aus der Veranstaltungsbranche kommt und während der Pandemie das Bedürfnis nach mehr beruflicher Sicherheit entwickelte. „Man sollte nicht unterschätzen, wie lernintensiv die Qualifizierung ist“, sagt Asya nach einem knappen Jahr. Ihre beruflichen Möglichkeiten sind nach Abschluss des Lehrgangs ein Einstieg im Jobcenter, im Jugendamt oder im Amt für Soziales und Wohnen.


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Über das Quereinsteiger-Recruiting der Stadt Essen habe ich mit Julia Thiess, Teamleitung Personalmarketing und Recruiting, Ilma Halvadzija, Verantwortliche für Employer Branding und Kampagnenmanagement, und Katharina Jahnke, Abteilungsleiterin Talente, Trends und Marketing, gesprochen:

Wie kam es zur jüngsten Ergänzung des Quereinsteiger-Programms, dem Verwaltungsfachwirt Digitales?

Julia Thiess: Wir haben den großen Vorteil, ein eigenes kommunales Studieninstitut zu betreiben. So können wir flexibel auf veränderte Personalbedarfe reagieren. Als deutlich wurde, dass wir mehr Mitarbeitende brauchen, die die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben, haben wir auf Initiative unserer Personaldezernentin Annabelle Brandes hin den neuen Kurs konzipiert. Zwischen Januar und Juli 2024 konnten wir allerdings nur acht von 30 Plätzen besetzen. Wir konnten uns nicht so recht erklären, warum sich das Angebot nicht herumsprach, denn es ist ja total innovativ. Wir mussten die Marketingmaßnahmen intensivieren und da kam Ilma Halvadzija ins Spiel.

Ilma Halvadzija: Ich bin vergangenes Jahr aus der Privatwirtschaft zur Stadtverwaltung gewechselt und habe das Wissen, das ich rund um das Thema Employer Branding mitbringe, auf die Verwaltung übertragen. Ich arbeite in Kampagnen gerne mit dem Ansatz, Vorurteile aufzugreifen und diese dann zu entkräften oder zumindest als Aufhänger zu nutzen. Ein gängiges Vorurteil lautet: „Stadtverwaltungen sind nicht digital“, und so war die Botschaft schnell klar: „Wir müssen digitaler werden und dafür brauchen wir dich!“ Außerdem haben wir mit dem Schlagwort „Digitalpioniere“ gearbeitet, weil die Kandidatinnen und Kandidaten die ersten in diesem Lehrgang sein würden.

Wie haben Sie die Kampagne konzipiert?

Ilma Halvadzija: Innerhalb von sieben Tagen haben wir eine Kampagne auf die Beine gestellt. Die Ressourcen haben wir zum Glück inhouse. Wir haben Fotos von eigenen Mitarbeitenden gemacht, Videointerviews gedreht, organische Beiträge bei LinkedIn, Instagram und Facebook veröffentlicht und sie mit einem sehr kleinen Budget von rund 200 Euro beworben. Ich habe das Ganze mit Tracking Links hinterlegt und kann sagen, dass wir innerhalb der ersten sechs Wochen bereits knapp 6.000 Besucherinnen und Besucher über diese Maßnahmen auf die Stellenanzeige gelenkt haben. Wir kennen es von anderen Bewerbungsprozessen oder Schaltungen von Werbeanzeigen in den sozialen Netzwerken, dass man oft auch unqualifizierte oder fremdsprachige Bewerbungen erhält, aber in diesem Fall waren es mehrheitlich passende Bewerberinnen und Bewerber. Innerhalb von acht Wochen konnten wir alle restlichen Plätze besetzen und sogar noch einige Ersatzkandidatinnen und -kandidaten auf die Warteliste nehmen!

Ich glaube, Quereinstieg und Digitalisierung sind beides spannende Themen, und die Bewerberinnen und Bewerber fanden es vor allem interessant, etwas ganz Neues mitgestalten zu können, beim ersten Mal dabei zu sein. Ein wichtiger Erfolgsfaktor war sicher auch, dass wir nicht nur eine einzelne, lose Werbeanzeige geschaltet, sondern diese in einen Gesamtkontext aus Marketingmaßnahmen eingebettet haben.

Warum haben Sie die Zugangsvoraussetzungen nicht etwas eingegrenzt, etwa auf bestimmte Erstausbildungen, die ähnliche Inhalte haben?

Julia Thiess: Wir machen sehr gute Erfahrungen damit, die Zugangsvoraussetzungen breit zu öffnen. Wir haben ja 11 bis 24 Monate Zeit, die Kandidatinnen und Kandidaten vollzeitverschult mit dem Fachwissen zu briefen, das sie bei uns brauchen. Im Bewerbungsprozess setzen wir vor allem auf die persönlichen Kompetenzen und die Affinität und das Interesse an der Verwaltung. Es wird immer wieder deutlich, welche Bereicherung die unterschiedlichen Erfahrungen, Fähigkeiten und Perspektiven darstellen, die die Quereinsteigenden mitbringen! Manche waren ja sogar schon Führungskräfte in anderen Bereichen. Anders als ganz junge Nachwuchskräfte frisch von der Schule überlegen sie mit ihrer Berufs- und Lebenserfahrung nochmal ganz anders, was aus Sicht des Arbeitgebers wichtig ist. Außerdem wissen sie die Arbeitsbedingungen ganz anders zu schätzen. Sie haben es oft schon anders erlebt. Wir haben zum Beispiel ehemaligen Mitarbeitenden von Galeria Kaufhof eine neue Perspektive geboten, als ihr Arbeitgeber in die Insolvenz ging, und auch Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen von der Sparkasse, die vor einigen Jahren nicht übernommen werden konnten, eingestellt. Sie sind alle total dankbar für diese Chance!

Katharina Jahnke: Ein gutes Beispiel für dieses „es schon mal anders erlebt zu haben“ ist unser langer Donnerstag in einigen Fachbereichen, an dem wir Öffnungszeiten bis 18 Uhr anbieten. Für uns Verwaltungsmenschen ist das spät, doch wenn man das in den Quereinsteigerkursen erwähnt, geht gern schon mal ein Raunen durch den Raum. „Verstehe ich das richtig? Wir reden hier von einem langen Tag in der Woche? Ich komme aus dem Einzelhandel, wir haben eigentlich immer bis 20 Uhr gearbeitet!“ Da sieht man: Manche Dinge relativieren sich je nach Betrachtungswinkel.

Gibt es Zukunftspläne zum weiteren Ausbau des Quereinstiegs bei der Stadt Essen?

Julia Thiess: Bisher sprechen wir in der Kommune beim Quereinstieg vor allem externe Personen an. Wir haben uns aber auch vorgenommen, intern verschiedene Wege der Personalentwicklung aufzuzeigen und Personen, die schon bei uns in der Stadtverwaltung arbeiten, aber noch keine Verwaltungsqualifikation haben, diese Möglichkeit anzubieten. Ein Beispiel ist Ilma Halvadzija, die ja im Grunde auch eine Quereinsteigerin aus der Privatwirtschaft ist. Wir haben immer die Möglichkeit, eine Person für bestimmte Aufgabengebiete einzustellen, wenn sie aufgrund der vorhandenen Qualifikation die Voraussetzungen für eine Einstellung erfüllt. Aber diese Personen sind dann stark auf ihre Aufgaben festgelegt. Wenn sie noch einen Verwaltungslehrgang machen könnten, wären sie universell aufgestellt und könnten sich innerhalb der Verwaltung weiterentwickeln, also zum Beispiel auch im Jugendamt, im Ordnungsamt oder in anderen Bereichen arbeiten. Das wäre ein nachhaltiger Quereinstieg, der auch Perspektiven bietet, und würde verhindern, dass Personen bei der Stadt Essen wieder aussteigen, nur weil sie das Interesse an ihrer konkreten Aufgabe verlieren.

Weiterlesen im Fachratgeber

Auf folgende Fragen gehen Julia Thiess, Ilma Halvadzija und Katharina Jahnke in meinem Fachratgeber „Quereinstieg: Potenziale nutzen, Personallücken schließen“ (Walhalla Fachverlag, 2025) ein:

  • Gibt es Konflikte in den Teams zwischen den regulär ausgebildeten Mitarbeitenden und Quereinsteigenden oder zwischen verbeamteten Mitarbeitenden und nicht verbeamteten Quereinsteigenden?
  • Gibt es einen Kulturschock, wenn Personen zum Beispiel aus der Privatwirtschaft in die Behörde wechseln?
  • Welche Tipps haben Sie für andere Behörden, die über das Quereinsteiger-Recruiting nachdenken?
  • Können Sie den Erfolg Ihres Quereinsteiger-Recruitings in Zahlen messen?

Ob als umgeschulte Betreuungskraft in einer Pflegeeinrichtung oder als Informatikerin beim Bundesverwaltungsamt, als Musiker im Lehramt oder Hausnotruf-Kundenbetreuerin ganz ohne Qualifikation – Quereinsteigende bilden eine tragende Säulein vielen Berufsfeldern. Längst nicht mehr nur als Notlösung, sondern zunehmend als wichtige Stellschraube gegen den Fachkräfte- und Personalmangel verstanden, sind sie gefragt wie nie. Und mit engagierter Personalentwicklung oft sogar mittelfristig als „echte“ Fachkräfte einsetzbar.

In meinem Fachratgeber „Quereinstieg: Potenziale nutzen, Personallücken schließen: Ein Recruitingleitfaden für Behörden und gemeinnützige Organisationen“ (Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Fachverlag, 2025) erfahrt ihr mehr über die Erfolgsfaktoren eines strukturierten Quereinsteiger-Programms. Außerdem gibt es Best Practice-Beispiele u.a. aus den Bereichen Kita, Pflege und Verwaltung.

 

 

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