Einen großen Konzern im Rücken zu haben, hat für das Recruiting in einer Sozial- oder Gesundheitseinrichtung Vor- und Nachteile. Welche das sind, wollen wir in diesem Blogartikel allgemein sowie an einem konkreten Beispiel beleuchten. Der wichtigste, erste Schritt ist es, sich der besonderen Gemengelage bewusst zu werden und zu verstehen, welche Auswirkungen sie hat. Nur dann können im zweiten Schritt die Chancen genutzt und die Herausforderungen proaktiv statt reaktiv angegangen werden.
Vorteile
Ob es sich um ein Krankenhaus handelt, das an einen Klinikkonzern angegliedert ist, oder eine soziale Einrichtung, die zu einem großen Komplexträger gehört: Meine Empfehlung lautet ganz unbedingt, beim Recruiting an die Mutterorganisation anzudocken. Ganz egal, ob es freiwillig, erwünscht oder verpflichtend ist. Denn dadurch ergeben sich Vorteile, für die manches kleinere oder alleinstehende Sozial- oder Gesundheitsunternehmen einiges geben würde:
- die Stellenbörsen einer großen Dachmarke haben oft eine hohe Reichweite und werden von den Jobcrawlern ausgelesen, sodass die Stellenanzeigen der einzelnen Einrichtungen eine gute Verbreitung finden, wenn sie dort vertreten sind
- es ist grundsätzlich mehr Geld für Personalmarketing und Kampagnen da als bei kleineren Trägern oder unabhängigen Einrichtungen, ggf. unterstützt die Zentrale Vor-Ort-Maßnahmen finanziell
- Idealerweise unterstützt die Kommunikationsabteilung in der Zentrale mit professionellen Grafiken, Kontakten zu guten Dienstleistern uvm.
- Innerhalb des Konzerns ist ein Austausch unter den Recruiter*innen der einzelnen Einrichtungen möglich, sodass man gegenseitig voneinander lernen kann
Nachteile
Gleichzeitig ermutige ich Unternehmen, die einen Träger oder Konzern im Rücken haben, aber auch, nimmermüde mit der Zentrale ins Gespräch zu gehen, um Beschränkungen, die von „oben“ kommen, auszuräumen, wenn sie sich für das Recruiting vor Ort als nicht sinnvoll erwiesen haben. Meist ist das mit etwas Geduld und guten Argumenten auch zu schaffen, denn auch die Zentrale hat ja normalerweise kein Interesse daran, eine Einrichtung zu schließen, weil es mit der Personalgewinnung nicht klappt. Zu den möglichen Nachteilen einer Konzernzugehörigkeit gehören folgende:
- Recruitingmaßnahmen und Kampagnen vor Ort müssen mit der Zentrale abgestimmt werden, dadurch besteht das Risiko, dass Geschwindigkeit reduziert, Innovationskraft gebremst, eine flexible Reaktion auf Trends erschwert wird
- oft gibt es starre Vorgaben zum Corporate Design, zum Stellenprofil eines Recruiting-Mitarbeiters oder zur Social Media-Kommunikation, die für die Personalgewinnung vor Ort nicht zielführend sind
- da der Konzern seine Einrichtungen auf einer zentralen Website präsentiert, müssen Bewerbende sich erst durch den Wasserkopf der Dachmarke wühlen, bevor sie dort landen, wo sie eigentlich hinwollen: bei den Arbeitgeberinformationen und Stellenanzeigen der Sozial- oder Gesundheitseinrichtung bei ihnen vor Ort
- Führungskräfte aus dem Konzernumfeld sind teils der Meinung, jedes Problem ließe sich kurzfristig mit Geld und Dienstleistern lösen, und haben manchmal kein offenes Ohr für den aufwändigen, aber sinnvollen, weil nachhaltigen Aufbau eines eigenen Recruitinguniversums
- neben dem Ziel einer möglichst großen Reichweite hat Recruiting immer auch einen sehr lokalen Aspekt, der bei einer zentralen Steuerung leicht untergeht
Ein Beispiel
Das Helios Klinikum Emil von Behring ist im vergangenen Jahr durch einige Leuchtturmprojekte im Recruiting aufgefallen – und hat auch für die Zukunft einige interessante Projekte in petto. „Ich bringe mich stark mit eigenen Ideen für das Recruiting ein“, berichtet Pflegedirektorin Barbara Putzolu, „umgesetzt werden sie dann im Team.“ Und Ideen müssen her, denn die Rahmenbedingungen für die Personalgewinnung für ihr Haus sind herausfordernd:
- Sieben Krankenhäuser im Umkreis von 4 Kilometern
- Weite Arbeitswege in den äußersten Südwesten der Stadt
- Kein günstiger Wohnraum in der Nähe
- Ausscheiden der engagierten Recruiterin aufgrund des langen Arbeitsweges (die Stelle ist derzeit ausgeschrieben)
Besonders die Besetzung von Ausbildungsplätzen steht im Moment im Fokus der Pflegedirektorin – aber auch die Nachbesetzung der Recruiterstelle. „Ich suche eine kommunikative Person“, beschreibt Putzolu, „denn auf der ausgeschriebenen Stelle wird sie viel mit Menschen zu tun haben, die sie durch ihre Aktivitäten für uns gewinnen und an uns binden soll!“ In der Stellenbeschreibung geht es allerdings vor allem um Onboarding und Feelgood Management, das natürlich das Recruiting idealerweise nahtlos fortsetzt, ebenso idealerweise aber eigentlich eine eigenständige Disziplin ist. „Es ist aber viel Care Arbeit in der Mitarbeiterschaft gefragt“, weiß die Pflegedirektorin aus Erfahrung der ausgeschiedenen Kollegin.
Pop up-Store im Einkaufszentrum
Die Mitwirkung an den innovativen Recruitingprojekten der Pflegedirektion gehört zur Projektstelle aber dazu. Ein Beispiel für ein solches Projekt aus dem Jahr 2025 ist der Pop up-Store im Einkaufszentrum „Das Schloss“ in Steglitz. Unter dem Motto „Hallo Behring“ wurde ein Ladengeschäft angemietet, um mit Bewerber*innen ins Gespräch zu kommen. Das Budget für die Miete und eine moderne, ansprechende Einrichtung kam aus der Konzernzentrale. Die zunächst auf drei Monate angesetzte Aktion wurde später auf fünf Monate verlängert. Verschiedene Medien haben schon während der Laufzeit berichtet, und das Projekt hat sogar den KU Award gewonnen, doch eine vollumfängliche Auswertung ist erst jetzt möglich, wo es abgeschlossen ist.
28 Pflegefachkräfte seien in sechs Monaten über den Pop up-Store eingestellt worden, so Barbara Putzolu, die Bewerberzahlen hätten sich in dem Zeitraum vervierfacht. Es ist nicht das erste Mal, dass ihr ein solcher Coup gelingt. Mit einem Oktoberfest habe sie auch schon einmal fünf Stellen für das Herzkatheterlabor besetzen können. Ein andermal hat sie mit einer Kaffee-Ape (dreirädriger Kleintransporter) im öffentlichen Raum gestanden. „Im Moment haben wir durch den Pop up-Store und andere Recruitingmaßnahmen so viele neue Pflegekräfte an Bord wie nie zuvor.“
Foto: Helios Kliniken
Titelfoto: Helios Kliniken / Thomas Oberländer
Die Learnings
Allerdings reiche es noch nicht, um komplett auf Leasingkräfte zu verzichten. Und die Bewerberzahlen gingen nach Ende der Kampagne „Hallo Behring“ auch wieder zurück. Was lernen wir als Recruiter*innen daraus? Leuchtturmprojekte und Kampagnen sind toll und wichtig und gehören als i-Tüpfelchen unbedingt zur Recruitingstrategie dazu. Aber für einen nachhaltigen Erfolg ist auch die Basisarbeit wichtig: die ständige Optimierung von Karriereportal und Stellenanzeigen, die Reichweitensteigerung durch Suchmaschinenoptimierung, die Arbeit auf Social Media und in Karrierenetzwerken wie LinkedIn und vieles mehr. Kampagnenseiten können stabile Karrierewebsites nicht ersetzen.
Ob sich die bewährte Maßnahme vielleicht wiederholen ließe? „Der Pop up-Store war ein Erfolg, wir haben so viel Liebe in das Projekt gesteckt. Aber ich denke, so etwas kann man nicht kopieren“, resümiert Barbara Putzolu. „Der Überraschungseffekt wäre beim zweiten Mal weg und die Zielgruppe, die wir im Einkaufszentrum ‚Das Schloss‘ antreffen können, ist auch nicht unendlich. Wir brauchen nun eine neue Idee.“
Die internationale Onboarding-Station
Das nächste Projekt der Pflegedirektion im Helios Klinikum Emil von Behring ist eine internationale Onboarding-Station. Mit einem Angebot für ukrainische Pflegekräfte, das übrigens auch im Pop up-Store vorgestellt wurde, setzt das Krankenhaus schon länger verstärkt auf Pflegekräfte aus dem Ausland. Vor fünf Jahren gab es ein Projekt mit Pflegekräften von den Philippinen, insgesamt sind bereits 35 Nationen im Pflegedienst vertreten. Zwei Integrationsmanagerinnen kümmern sich um die internationalen Kolleg*innen. Bald kommen sie einiges mehr zu tun!
„Ich war in Indien, Tunesien und Mexiko und habe insgesamt 80 internationale neue Mitarbeitende rekrutiert“, berichtet die Pflegedirektorin. Um den Austausch untereinander zu ermöglichen und das Onboarding zu standardisieren, sollen sie nicht wie in anderen Krankenhäusern üblich auf die Stationen verteilt werden, sondern beginnen alle im selben Fachbereich, der Pneumologie. Die wird zur neuen internationalen Onboarding-Station auserkoren. „Erst wenn sie wissen wie das Haus tickt und sicher in der Grundpflege sind, werden wir die neuen Pflegekräfte auf anderen Stationen platzieren“, erklärt Barbara Putzolu das Konzept.
Auf der Willkommensstation kann sie das geplante Mentorenprogramm besser im Blick behalten, bei dem je eine Fachkraft einen Neuling unterstützen soll. Und wie hat sie es hinbekommen, dass die Pneumologie sich für den Testballon zur Verfügung gestellt hat? „Wir haben auf die Recruitingreisen immer auch ärztliche Begleiter*innen mitgenommen. So waren alle schon im Boot. Gerade nach Indien haben uns einige Assistenzärzt*innen aus der Pneumologie begleitet. Die Bindung zu den Fachkräften ist also schon da. Die Ärzt*innen haben kein Problem damit, wenn die Pflegekräfte zunächst nur Englisch sprechen.“
„Pflege braucht Nahbarkeit“
Ob Pop up-Store oder internationale Onboarding-Station – für Barbara Putzolu ist die Botschaft wichtig, die sie über die Pflege im Behring-Krankenhaus vermittelt. „Pflege braucht Nahbarkeit“, fasst sie es zusammen. „Viele kennen uns nicht und wissen nicht, wie wir drauf sind. Im Einkaufszentrum haben sie erlebt, dass wir nicht grau und dröge sind, sondern mittendrin. Ein junger Mann aus einem Konkurrenz-Krankenhaus stand mit leuchtenden Augen da und meinte: ‚Was macht ihr denn hier, das ist ja toll!` Ich hatte gerade unsere Leitungskonferenz in den Pop up-Store verlegt. Solche Reaktionen erlebt man im klassischen Bewerbungsgespräch nicht.“
Nahbarkeit ist auch das Schlagwort, mit dem sich der Führungsstil der Pflegedirektorin am besten beschreiben lässt. „Ich versuche, so viel wie möglich durch die Stationen zu laufen, auch wenn ich natürlich auch andere Aufgaben habe. Aber es tut gut, nah an der Pflege dran zu sein. Wenn jemand mit einem Problem anruft, gehe ich lieber hin als es am Telefon zu besprechen, und das versuche ich auch meinem Team nahezulegen. Per E-Mail wird schnell etwas falsch verstanden.“ Die Pflege sei „unheimlich sensibel und emotional“, weiß Putzolu. „Es gehört dazu, als PDL emotional zu arbeiten, damit es gut läuft.“
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