Mitarbeitende für ein Start-up zu rekrutieren, ist in der Gründungsphase meist nicht schwer. Es finden sich immer Enthusiast*innen, die dabei sein wollen, wenn das nächste große Ding aus der Taufe gehoben wird, das wahlweise Millionengewinne oder die Weltrettung verspricht. Doch wenn sich zwischen Tüfteln und Kapitalakquise niemand um die organisatorische Gestaltung des jungen Unternehmens kümmert, drohen Strukturlosigkeit und Mitarbeiterfluktuation. Dann kommt Christoph Henze, Geschäftsführer der Managementberatung Foundatio, als Interim Manager ins Spiel.
Können Sie das Start-up kurz vorstellen, das Sie zuletzt beraten haben?
Im Jahr 2024 habe ich neun Monate lang ein deutsches Space Tech Start-up beraten. Kurz gesagt wird dort daran gearbeitet, modernste Bildgebungstechnologie zu nutzen, um die Erdoberfläche zu beurteilen. Mit Temperaturmessungen und Thermaldaten werden vom Weltall aus Vegetation und Bodengesundheit überwacht, Erkenntnisse über Wasserverteilung gewonnen und unter anderem Auswirkungen industrieller und landschaftlicher Aktivitäten beschrieben.
Von Expert*innen aufbereitet sollen diese Daten dazu beitragen, die Ernährung von 10 Milliarden Menschen sicherzustellen, die voraussichtlich in den 2050er Jahren auf dem Planeten leben werden. „More Crop per Drop“ („Mehr Ertrag pro Wassertropfen“) lautet dabei die Devise, nachhaltige Landwirtschaft soll unterstützt werden. Zumindest war das die Ausgangsidee.
Inzwischen ist klar, dass die Daten auch in der Stadtentwicklung genutzt werden können: Wo ist die Temperatur inmitten von Beton- und Teerflächen, Häusern und anderen Gebäuden besonders hoch? Wie können Stadtgebiete durch das Pflanzen von Bäumen abgekühlt werden? Auch ist es denkbar, die Messergebnisse für industrielle Zwecke heranzuziehen.
Ich fand das Konzept unwahrscheinlich faszinierend. Nachhaltigkeit und Innovation kommen hier zusammen. Ein Start-up organisatorisch so aufzustellen, dass es eine tragfähige Perspektive als Unternehmen hat, ist eine erfüllende Aufgabe. Mit den Themen Wasserknappheit und Klimawandel hatte ich im Übrigen bereits während meiner Tätigkeit in der Division Crop Science bei Bayer zu tun.
Welche Situation haben Sie in dem Start-up vorgefunden?
Aufgrund der überzeugenden Geschäftsidee war es für die junge Firma kein Problem, in mehreren Runden Wagniskapital zu akquirieren. Da es für Forschung, Politik und eigentlich die gesamte Menschheit von großem Interesse ist, Ressourcen effizienter einzusetzen und den Planeten nachhaltiger zu bewirtschaften, sehen auch Investor*innen Potenzial.
Für Mitarbeiter*innen ist die Sinnhaftigkeit der Unternehmung attraktiv. So eine Vision wie die des Start-ups, für das ich tätig war, zieht Expert*innen wie Informatiker*innen und Ingenieur*innen an, in wenigen Jahren ist die Belegschaft auf knapp 80 Mitarbeitende gewachsen. In diesem Jahr sollen es 110 Mitarbeitende werden.
Doch was häufig – und so auch hier – auf der Strecke bleibt, wenn sich eine Gruppe Enthusiast*innen einer Mission verschreibt, ist die Grundlagenarbeit. Also die Schaffung von Organisationsstrukturen, die weniger spannend als das Tüfteln und Entwickeln, aber ab einer gewissen Unternehmensgröße und Marktbeständigkeit notwendig ist. Das Space Tech Start-up wurde 2020 aus der Taufe gehoben, die Gründungsphase ist vorbei. Investor*innen und Förderer verzeihen unkoordiniertes Management und die Verschwendung von Ressourcen ab einem gewissen Punkt nicht mehr so leicht. In dem Moment komme ich als Interim Manager mit meinem Know How ins Spiel.
Welche Art von Lösungsansätzen bringen Sie als Interim Manager ein?
Ein Start-up, das mit viel Geld hantiert, braucht saubere Budgetprozesse. Wieviel Geld kommt genau herein und wohin fließt es? Welche Ausgabenposten gibt es überhaupt und wie lassen sich die vorhandenen Mittel am sinnvollsten darauf verteilen? Bewegen sich Personal- oder Reisekosten, Entwicklungs- und Marketingbudget im Vergleich zu ähnlichen Unternehmen in einem angemessenen Rahmen? Nur weil viel Geld zur Verfügung steht, sollte man es nicht verschwenden. Und man muss jederzeit auskunftsfähig sein – gegenüber Investor*innen, Wirtschafts- und Steuerprüfer*innen oder Medien.
In meinem Fall war die Dokumentation der Finanzströme besonders wichtig, weil es im Gegensatz zu anderen Start-ups, die rein digitale Produkte oder Dienstleistungen anbieten, hier ein komplexes Setup mit verschiedenen Betätigungsfeldern und damit Kostenfaktoren gibt. Es geht um den Bau und Betrieb eigener Satelliten, die die benötigten Temperaturdaten aus dem All in Zukunft liefern sollen. Im Januar 2025 wurde ein erster Satellit erfolgreich ins All geschickt und im Juni ein zweiter.
Die gesammelten Daten müssen noch durch Teams am Boden, stichprobenartig geprüft und verifiziert werden. Erst wenn sichergestellt ist, dass sie belastungsfähig sind, können sie ausgewertet und so aufbereitet werden, dass Landwirte und öffentliche Träger damit etwas anfangen können. All diese Tätigkeitsfelder müssen mit Budgetplänen hinterlegt werden. Ich habe dabei viele Fragen identifiziert, die noch zu klären sind.
Welche Herausforderungen gibt es für ein Start-up in seiner Rolle als Arbeitgeber?
Die erste Frage lautet: Erfolgt das Firmenwachstum kontrolliert oder willkürlich? Irgendwann muss man aufhören, jede*n einzustellen, der oder die sich mit der Vision identifizieren und Wissen beitragen kann. Auch im Verwaltungsbereich kommt es leicht zu einer unnötigen Aufblähung der Teams. Wenn so ein Unternehmen mit seinen 80 Mitarbeitenden ein Output hat, das vergleichbare Start-ups nach derselben Lebensdauer mit 30 oder 40 Mitarbeitenden schaffen, muss man überlegen, ob es an der einen oder anderen Stelle Einsparpotenzial gibt. Wir befinden uns ja hier schon im Bereich eines mittelständischen Unternehmens. Da gibt es klare Vergleichsgrößen, wie die Beschäftigtenstruktur sinnvoll aufgebaut sein sollte. Mit Blick auf das Budget braucht das Start-up klare Strategie dazu, welche Mitarbeiter*innen benötigt werden, wie sie rekrutiert und gehalten werden sollen und wieviel Budget für Gehälter und Personalmarketing reserviert werden muss.
Der Umgang mit den Mitarbeiter*innen, die bereits an Bord sind, erfordert Fingerspitzengefühl. In der Start-up Szene sind sie in der Gründungsphase oft gerne bereit, Mehrarbeit zu leisten. Aber langfristig ist es bei aller beeindruckenden persönlichen Motivation kein realistisches und haltbares Szenario, dass Angestellte jeden Tag bis 22 Uhr oder am Wochenende arbeiten. Das Arbeitszeitgesetz erlaubt es nicht und im Hinblick auf die Erhaltung der Arbeitskraft seiner Mitarbeitenden ist es auch nicht im Sinne des Unternehmens, dies einzufordern.
Was passiert im Verlauf des Unternehmenswachstums?
Je größer das Unternehmen wird und je besser es sich am Markt etabliert, desto mehr Berufsgruppen kommen an Bord, die nicht zum Kern der Start-up-Szene gehören und die es nicht gewohnt sind, für eine gemeinsame Vision Überstunden zu machen. Dazu kommen die Ansprüche der Generation Z und nachfolgender Generationen an die Arbeitswelt. Als positiv verbuchen sie die agilen, flexiblen Arbeitsbedingungen, flachen Hierarchien und idealerweise die Sinnhaftigkeit der Vision eines Arbeitgebers in der Start-up-Welt. Man kann dort früh Verantwortung übernehmen und mitgestalten. Gleichzeitig sucht der Nachwuchs aber mittelfristig Stabilität und Life-Work-Balance. Wenn diese Bedürfnisse auf Strukturlosigkeit und Stress treffen, sind Konflikte vorprogrammiert. Man kommt nicht mehr drumherum, sich als Gründer*in zu überlegen, wie man damit umgehen will.
Gibt es weitere Herausforderungen?
Dazu kommt das Problem, dass Mitarbeitende in Start-ups es aus der Gründungsphase gewohnt sind, über alles informiert und in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden. Je mehr sich eine Firma aber ausdifferenziert, je größer sie wird, umso mehr verlangsamen nicht existente Hierarchien und Kompetenzbereiche sowie die Forderung nach Mitspracherecht das Wachstum. Anders ausgedrückt: Ohne festgelegte Prozesse fühlt sich jede*r eingeladen, sich zu jeder Kleinigkeit zu äußern. Jede*r glaubt, er sei Expert*in für Einkauf, Finanzen oder Recruiting. Bei dreißig oder vierzig Mitarbeitenden mag das noch funktionieren, danach wird es schwierig, auf diese Weise zielorientiert voranzuschreiten.
Irgendwann ist es schlicht für den oder die Einzelne*n zeit- und kompetenzmäßig auch nicht mehr möglich, jede einzelne Unternehmensentscheidung so tief zu durchdringen, dass es Sinn macht, eingebunden zu sein. Das ist der Zeitpunkt, an dem sich Teams und Abteilungen herausbilden und Mitarbeitende aus der Gründungsphase akzeptieren müssen, Grenzen gesetzt zu bekommen. Ob ich als Interim Manager erfolgreich helfen kann, zukunftsfähige Strukturen aufzubauen, hängt auch davon ab, ob die Gründer*innen ihrer Belegschaft dies positiv vermitteln können. Natürlich darf ich dabei als externer Experte die besondere Dynamik im Start-up nicht unterschätzen und muss Verständnis dafür zeigen, wo das Selbstverständnis einzelner Mitarbeitender herkommt.
Welche Kompetenzen braucht ein Interim Manager, um Start-ups erfolgreich zu beraten?
Zunächst braucht man Verständnis für das Mindset der Gründer*innen und muss genau heraushören können, welche Art von Unterstützung sie sich wünschen. Sucht das Start-up jemanden für die Strukturierung von Finanzprozessen oder einen Fundraiser? Das sind sehr unterschiedliche Dinge, die von Unkundigen schnell mal in einen Topf mit dem Label „Finanzen“ geworfen werden.
Außerdem braucht man Kommunikationsfähigkeit und darf – selbst wenn man dafür an Bord geholt wurde, Prozesse zu beschreiben und Strukturen einzuführen, Prioritäten zu setzen und Verantwortlichkeiten zu definieren – nicht davon ausgehen, dass die Mitarbeiter*innen aus der Gründungsphase vollumfänglich verstehen, welche großen Veränderungen das bedeutet.
Ich als erfahrener Chief Financial Officer (CFO) und Chief Executive Officer (CEO) für Unternehmen wie Bayer und Schering, der es gewohnt ist, schnell fundierte Entscheidungen zu treffen, musste in meiner Tätigkeit als Interim Manager und Berater für Start-ups auch erst lernen, dass es im Start-up viel ums Zwischenmenschliche geht, durchaus auch mal zulasten der Effizienz. Die größte Herausforderung ist nicht, Handlungsbedarfe zu erkennen, sondern Gründer*innen zu überzeugen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Denn von ihnen hängt es ab, ob sie die Umsetzung im Unternehmen durchsetzen wollen und können.
Woher kommt Ihre Expertise als Interim Manager?
Ich habe Karriere bei Bayer und Schering gemacht, über zehn Jahre als CFO und CEO in Tochtergesellschaften in Costa Rica und der Ukraine gearbeitet. Mit Teams zwischen 50 und 280 Mitarbeitenden habe ich die Strategien meines Arbeitgebers umgesetzt, Geschäftsprozesse optimiert, als Produktmanager hohe Umsatzsteigerungen erzielt und als Auditor Prüfteams geleitet. Neben meinem EMBA (Executive Master of Business Administration) bringe ich zertifizierte Weiterbildungen im Bereich Stiftungsmanagement mit.
Da ich für Wirtschaftsunternehmen, Stiftungen und NGOs, aber auch für Start-ups gearbeitet habe, weiß ich, was die unterschiedlichen Organisationsstrukturen voneinander lernen können. Für die Stiftung gilt: die Innovationskraft und agilen Arbeitsmethoden aus der Start-up-Szene können verkrustete Strukturen aufbrechen. Umgekehrt kann mehr Struktur einem Start-up helfen, sich als solides Unternehmen zu etablieren. Man hat letztendlich zwei Möglichkeiten: entweder früh aufgekauft werden oder sich irgendwann den „langweiligen“ Seiten des Unternehmensmanagements stellen, um sich zukunftsfähig zu etablieren.
Mir macht die Beratung in beiden Organisationsformen Spaß, denn was meine Projekte verbindet, ist die Sinnhaftigkeit der Mission. Ob ich ein Space Tech Start-up berate oder mich in der Robert-Koch-Stiftung für den medizinischen Fortschritt engagiere – ich mache das aus Überzeugung. Und letztendlich hat das Management überall dieselben Aufgaben: Entwicklungsstrategien definieren und die gesetzten Ziele in erreichbare Teilschritte untergliedern. Auch mal unpopuläre Entscheidungen treffen, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens oder der Stiftung/Organisation zu sichern. Und sich selbst als Gründer*in oder Geschäftsführer*in reflektieren, ob man wirklich innerlich bereit ist, den Wendepunkt als solchen zu erkennen und das nächste Level zu erklimmen.
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