Ich habe gestern einen Vortrag von Lucie Veith vom Verein Intersexuelle Menschen gehört und möchte daraufhin mal einige Gedanken zum Thema „drittes Geschlecht“ in Stellenanzeigen festhalten.

Als allererstes sagt Lucie Veith: Es gibt kein drittes Geschlecht. Es gibt stattdessen 86 Diagnosegruppen von Menschen, die nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Es geht also genauer gesagt um eine dritte Option für die Benennung des Geschlechts oder der Identität – in Geburtsurkunden, aber eben auch in Stellenanzeigen oder Onlinebewerbungsformularen.


Wir Personaler*innen in der Wohlfahrtspflege müssen wohl nicht erst überzeugt werden, dass es wichtig ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, denn unsere Verbände sind offen für die Bedürfnisse von diskriminierten Bevölkerungsgruppen und haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihnen Gehör zu verschaffen. Doch leider gibt es trotzdem ein großes Problem: Wenn ich die dritte Geschlechteroption (“drittes Geschlecht”) im Personalmarketing umsetzen möchte, beißen sich die Empfehlungen mit den Empfehlungen für die Suchmaschinenoptimierung (SEO). Zugespitzt gesagt habe ich die Wahl, ob ich geschlechtergerecht ausschreiben oder ob ich mit meinen Stellenanzeigen in den Suchmaschinen oder Jobbörsen gefunden werden will. Beides zu vereinbaren scheint schwer möglich, einige Lösungsansätze diskutiere ich weiter unten.

Vorweg noch kurz die Frage: Warum sollte ich mich als Arbeitgeber überhaupt mit der dritten Geschlechtsoption auseinandersetzen? Nicht nur, weil sich die Gesetzgebung dahingehend ändert. Nicht nur, weil es als soziales Wesen meine moralische Pflicht ist. Sondern auch ganz pragmatisch, weil wir in Zeiten des Fachkräftemangels auf keinen einzigen Bewerber verzichten können. 80.000 bis 160.000 Personen in Deutschland sind laut Lucie Veith – konservativ geschätzt – von uneindeutigen Geschlechts- und Identitätsmerkmalen betroffen – und sicher haben sich einige von ihnen auch bereits bei euren Unternehmen beworben oder bewerben wollen. Lucie Veith erzählte eindrücklich, dass sie, wenn sie ein Formular ausfüllen muss, indem sie sich eindeutig für männlich oder weiblich, Herr oder Frau entscheiden muss, dieses Formular sofort schließt und die gewünschte Dienstleistung oder Bestellung anderswo in Anspruch nimmt oder tätigt. Ein Onlinebewerbungsformular, in dem sie die Anrede Herr oder Frau auswählen müsste, wäre also ein Grund, sich nicht bei diesem Unternehmen zu bewerben. „Möchte ich bei einem Arbeitgeber arbeiten, der mich nicht sehen mag?“, fragt sie. Bewerber*innen auf diese Weise zu verlieren, können wir uns aber nicht erlauben.

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Lucie Veith berichtete außerdem, dass sie und ihr Verein es sich nicht freiwillig ausgesucht hätten, die Debatte um die Benennung der dritten Geschlechts- und Identitätsoption zum Beispiel in Stellenanzeigen zu führen. Man habe viel wichtigere Ziele: zum Beispiel zu verhindern, dass betroffene Kinder umoperiert werden (in 85% der Fälle zur Frau), bevor sie alt genug sind, um selbst eine Entscheidung zu treffen. Oder dass intersexuelle Embryos spätabgetrieben werden, was zunehmend geschehe. Aber jetzt wo die Debatte angestoßen sei, gelte es zu verhindern, dass uninformierte Politiker oder Richterinnen (oder Personaler!) Entscheidungen träfen, deren Konsequenzen sie nicht verstünden. Seien wir als Personaler*innen also nicht frustriert, dass wir uns bei allen anderen Themen, die auf dem Schreibtisch liegen, nun auch noch in dieses hineindenken müssen. Niemand hat uns damit ärgern wollen. Es ist einfach dran.

Verschiedene Formulierungsmöglichkeiten für das dritte Geschlecht und ihre Vor- und Nachteile

Wie soll ich nun also in der Überschrift einer Stellenanzeige die Information zur dritten Geschlechteroption unterbringen? Es gibt verschiedene Formulierungsmöglichkeiten, die jeweils Vor- und Nachteile haben.

Erzieher (w/m/d)

Diese Schreibweise scheint sich in deutschen Stellenbörsen durchzusetzen, jedenfalls soweit ich das beobachte. Aus SEO-Sicht ist sie gut, weil das Wort „Erzieher“, das häufig als Suchwort genutzt wird, hier frei steht und optimal gefunden werden kann. Allerdings hat diese Schreibweise bisher auch die meiste Verwirrung hervorgebracht: Das kleine d wird teils nicht als Abkürzung für „divers“, was es eigentlich heißen soll, sondern als Abkürzung für „deutsch“ missverstanden und in internationalen Zusammenhängen steht das d für „disabled“, also Menschen mit Behinderung. In Stellenanzeigen für Fachkräfte aus dem Ausland taugt das d also überhaupt nicht. Ich könnte auf Erzieher (w/m/divers) ausweichen, aber dadurch wird der Stellenanzeigentitel immer länger und unleserlicher. Kritiker merken auch an, dass diese Formulierung eine Rückkehr zur rein männlichen Schreibweise sei und die anderen Optionen in Klammern zu Optionen zweiter Klasse verkämen.

Erzieher (w/m/x)

Diese Schreibweise ist ebenfalls aus SEO-Sicht gut und die Missverständnisse mit dem kleinen d kommen dabei nicht vor. Allerdings ist sie von den Betroffenen nicht gewünscht. Laut Lucie Veith steht das x für die „offene Option“. Genau genommen sagt man damit: Du bist nicht Männlein und nicht Weiblein, darum kreuzen wir lieber gar nichts an. Die Betroffenen fühlen sich dadurch in ihrer Identität nicht wahrgenommen, sie fühlen sich, als wären sie „nichts“. Wer x schreibt, verbessert also aus Sicht der Geschlechtergerechtigkeit gar nichts und kann es eigentlich auch gleich weglassen.

Erzieher*in oder Erzieher_in

Diese Schreibweise ist aus Sicht der Betroffenen und aus Sicht der Gleichstellungsbeauftragten vorzuziehen. Aus SEO-Sicht ist sie allerdings nicht perfekt. Da der Nutzer das Suchwort „Erzieher“ eingibt, werden Stellenanzeigen, in denen dieses Wort genau so – ohne Sternchen- oder Unterstrich-Erweiterung – vorkommt, bevorzugt und also weiter oben gelistet. Ein befreundeter Personaler aus dem NGO-Bereich hat die Performance von Stellenanzeigen strukturiert verglichen und festgestellt, dass Stellenanzeigen mit Sternchen oder Unterstrich deutlich schlechter abschneiden. Im Ausland werden die Sternchen demnach gar nicht erst verstanden, vorsichtige Ansätze, es zu nutzen, sehe man in Italien und Spanien.

Lucie Veith vom Verein Intersexuelle Menschen schlägt vor, die Stellenanzeigen mit den häufig genutzten Suchwörtern zu taggen. Man würde also Erzieher*in als Überschrift nutzen und als zusätzliches Schlagwort „Erzieher“, „Kindergärtner“, etc. im System hinterlegen, um die Suchmaschinen auszutricksen. Kann man machen, hilft sicher auch etwas, allerdings wird die Seitenüberschrift von Google trotzdem als am wichtigsten bewertet. Wenn „Erzieher“ in der Überschrift steht, wird die Stellenanzeige weiterhin weiter oben gelistet als sie gelistet würde, wenn „Erzieher“ nur als Schlagwort hinterlegt würde.

Lösungsidee: Wolfgang Brickwedde vom Institute for Competitive Recruiting schlägt daher vor, bei dieser Schreibweise unbedingt ein Leerzeichen vor dem Sternchen oder Unterstrich einzufügen, also Erzieher *in, Erzieher _in oder Erzieher /in. Mir erscheint das im Moment die praktikabelste Option zu sein.

Projektleitung statt Projektleiter/in, *in oder _in

Denn ansonsten wird noch vorgeschlagen, statt der männlichen oder weiblichen Schreibweise (auch das ausführliche „Erzieherinnen und Erzieher“ hilft übrigens nicht, denn damit werden intersexuelle Menschen und andere Identitäten ausgeklammert) die Funktion zu benennen: „Projektleitung gesucht“ statt „Projektleiter*in gesucht“. So umgeht man das Geschlechterproblem. Gegen diese Möglichkeit gibt es allerdings zwei gute Gründe: Erstens wieder die Suchmaschinenoptimierung. Der Nutzer gibt eher das Suchwort „Projektleiter“ als „Projektleitung“ ein. Die „Projektleitung“ verschafft mir aus SEO-Sicht also wieder einen Nachteil. Und zweitens: Laut Experten (vgl. z.B. das Fachbuch „Stellenanzeigen erfolgreich texten“ von Stefan G. Wolf, siehe unten) werden Stellenanzeigen häufiger angeklickt oder gelesen, wenn Bewerber sich persönlich angesprochen fühlen. Wenn sie sich gesehen fühlen, was ja auch Lucie Veith sich für alle Menschen wünscht. Gesehen fühlt man sich aber nicht, wenn man mit einer Funktion angesprochen wird. Ich, Maja Schäfer, bin keine Projektleitung, ich bin eine Projektleiterin. Meine Funktion ist die Projektleitung. Ich bin eine gelernte Journalistin, derzeit eingesetzt in der Projektleitung. Wenn es darum gehen soll, Menschen zu sehen, ist die Projektleitung im Stellenanzeigentitel keine Lösung.

[Werbung] Um das neue Gerichtsurteil zur dritten Geschlechteroption geht es im Fachratgeber “Stellenanzeigen erfolgreich texten” von Stefan G. Wolf (SpringerGabler Verlag, 2013; Amazon Affiliate Link) noch nicht, denn er ist schon etwas älter. Aber dafür geht es um gute Stellenanzeigentitel, emotionale Einleitungstexte und eine aktive Sprache, die Bewerber*innen motiviert anstatt sie einzuschläfern. Ich habe mir aus dem Ratgeber viel abgeschaut.

Qualifizierte Verstärkung für die Erziehung von Kindern gesucht

Als Empfehlung sprach sich Lucie Veith letztendlich für recht umständliche Stellenanzeigentitel wie diese aus: „Wir suchen für unsere Lohnbuchhaltung qualifizierte Verstärkung“. Aus SEO-Sicht unglücklich, denn welcher Bewerber gibt „Verstärkung“ als Suchwort ein? Buchen Sie einmal eine Anzeige bei einem Social Recruiting-Tool wie MobileJob oder HeyJobs. Dort wird man Ihnen genau das Gegenteil empfehlen, nämlich Stellenanzeigentitel wie: „Pflege / Pfleger / Krankenschwester / Krankenpfleger / Altenpfleger / Pflegefachkraft / Pflegekraft (w/m/d)“. Das finde ich auf gar keinen Fall besser, aber es zeigt, wie gegensätzlich die Argumentationslinien sind. Die Suchmaschine ist nicht König, wir sollten im Personalmarketing nicht immer nur alles der Suchmaschine recht machen. Aber ganz außer Acht lassen können wir sie eben auch nicht.

Noch ein weiteres Argument gegen die „Verstärkung für die Erziehung von Kindern“: Gibt es nicht aus anderen klugen Richtungen, zum Beispiel von den Befürwortern der Nutzung von Leichter Sprache für alle (also in Behördenformularen, in Informationsbroschüren, etc.), gerade das sehr sinnvolle Bestreben, vom unpersönlichen Nominalstil und Passivkonstruktionen mit viel -ung wegzukommen und eine aktive Sprache zu schreiben, die besser verständlich ist?

Kompromissvorschlag: „Kauffrau *mann als Teamleiter *in in unserer Lohnbuchhaltung gesucht“ (mit Leerzeichen vor den Sternchen!). Was haltet ihr davon?

Die transsexuelle, trans*, transidente oder Trans*Menschen Perspektive

Im Gespräch mit verschiedenen Vertretern dieser Gruppen wurde klar, dass es “die” eine Perspektive hier nicht gibt, da die Begriffe nicht eindeutig verwendet werden.

Die Vereinigung Transsexuelle Menschen teilte mir mit, dass Transsexuelle, so wie sie von der Vereinigung definiert werden, keine zusätzliche Geschlechteroption in Stellenanzeigen, Personenstandsregistern o.ä. benötigten, denn ihre Identität sei mit der klassischen (w/m)-Variante abgedeckt. Die Betroffenen fühlten sich eindeutig als Mann oder Frau, nur stimme ihr Identitätsgefühl – vor einer körperlichen Angleichung (Operation) – nicht mit ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen überein.

Andere Kommentatoren erklärten, dass es in allen Betroffenengruppen (transsexuell, transgender, transident, trans*) Menschen gebe, die sich einer dritten Geschlechteroption zugehörig fühlten, und Menschen, die sich eindeutig als Mann oder Frau fühlten.  Aus ihrer Sicht spricht nichts dagegen, auch Transsexuelle in die Debatte um eine dritte Geschlechteroption mit einzubeziehen: “Wer sich nicht angesprochen fühlt, zieht sich den Schuh halt nicht an.”

Als Kompromissvorschlag für Stellenanzeigentitel wurde folgende Variante genannt: Erzieher (w/m/d)*, wobei in einer Fußzeile die Bedeutung der Abkürzungen erklärt wird: *w-weiblich, m-männlich, d-divers

„Alle Geschlechter sind Willkommen“

Zuletzt gab es im Vortrag von Lucie Veith noch die Idee, den Satz „Alle Geschlechter sind Willkommen“ (“All genders welcome”) der Stellenanzeige hinzuzufügen. Das finde ich super. Die Frage nach dem Stellenanzeigentitel löst es allerdings nicht.

Fazit zum Thema “Drittes Geschlecht” in Stellenanzeigen

Das Thema ist also noch lange nicht zu Ende diskutiert, aber das ist ja auch nicht schlimm. Ich finde es spannend, mich damit auseinanderzusetzen. Nur sollten die Empfehlungen von Gleichstellungbeauftragten und Diversity Managern unter Abwägung aller Anwendungsfälle und Rahmenbedingungen ausgesprochen werden, das ist meine einzige Bitte. Lucie Veith sieht das alles nicht so pessimistisch wie ich. Sie meint, aufgrund der neuen Gesetzeslage müssten alle Arbeitgeber ihre Stellenanzeigen anpassen und Anbieter von Bewerbermanagementsystemen ihre Onlineformulare. Auf lange Sicht würde Google dann einfach nicht mehr mit dem verpönten „Erzieher“ gefüttert und der Algorithmus automatisch gendergerechter werden. Nun gut, im Onlineformular ist es wirklich recht einfach. Lasst das Auswahlfeld Herr/Frau einfach weg und schreibt in euren automatischen Bestätigungsmails: Liebe*r Max Mustermann. Aber ob wir angesichts des Fachkräftemangels Zeit haben, darauf zu warten, dass der Google-Algorithmus sich für Gendergerechtigkeit interessiert, wage ich zu bezweifeln.

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