Die so genannte „Assessment Center“-Methode, bei der Bewerber*innen einen Eignungstest durchlaufen, bevor sie eingestellt werden, können wir uns im Sozial- und Gesundheitswesen nicht leisten. Denn Bewerber*innen mit der richtigen Qualifikation wegschicken, nur weil sie ein bisschen anders ticken als wir, das geht angesichts der angespannten Personalsituation in der Pflege nicht. Trotzdem tut es natürlich auch unseren Teams gut, wenn ihnen nicht irgendwelche neuen Kolleg*innen vor die Nase gesetzt werden. Sondern Menschen, die charakterlich passen. Die Johannesstift Diakonie hat eine Lösung für dieses Dilemma gefunden. Und gleichzeitig eine neue Recruiting-Methode erfunden. Sie heißt Team-O-Mat. Arne Schöning berichtet.

Wie kam die Team-O-Mat Idee zustande?

Wir haben bei der Johannesstift Diakonie vor vier Jahren angefangen, das Recruiting auf neue Füße zu stellen. An dem Change Prozess sind unter anderem der Vorstand, die Geschäftsführer, die Zentralen Dienste Personal und Kommunikation, meine Kollegin Anne Netz, eine gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin mit einem Studienabschluss in Pflegemanagement, und ich als Teamleiter Personalmarketing / Talent Acquisition beteiligt.

Wir haben lange über die verschiedenen HR Trends wie Künstliche Intelligenz (KI), Gamification, Corporate Influencer, Mitarbeiter werben Mitarbeiter, Cultural Fit nachgedacht. Und überlegt: Wie können wir das alles unter einen Hut bringen, ohne uns mit zwanzig Einzelprojekten zu verzetteln? Daraus ist dann der Team-O-Mat als Bestandteil der Neuausrichtung im Recruiting und Employer Branding entstanden. Die ursprüngliche Idee stammt von Anne Netz.

Und was ist das nun genau, der Team-O-Mat?

Der Team-O-Mat ist eine Art Selbsttest für Pflegekräfte, der aus zehn Fragen besteht. Das Matching dahinter ist zwar noch keine Künstliche Intelligenz, aber wir nutzen einen mathematischen Algorithmus, der herausfindet, welches Team in unserem großen Unternehmen mit 10.300 Mitarbeitenden zum*zur Bewerber*in passen könnte.

Nachdem sie den Test durchlaufen haben, bekommen die Kandidat*innen verschiedene Teams vorgeschlagen, und können sie sich auf einer jeweiligen Teamseite genauer anschauen. Wenn ihnen ein Team gefällt, können sie entweder über ein Formular eine Hospitation bei der Stationsleitung anfragen oder sich direkt bewerben. Die Bewerbung erfolgt also nicht auf klassischem Wege über eine Stellenanzeige, sondern über eine Teamseite.

Mit welchen Fragen wollt ihr herausfinden, wohin ein*e Bewerber*in passt?

50 Prozent der Fragen betreffen die harten Fakten. „Möchtest du mit Neugeborenen oder älteren Menschen arbeiten?“ Das führt natürlich naheliegend zu den Teams der Geburtshilfe / Neonatologie oder Geriatrie. 50 Prozent der Fragen zielen aber auch auf den Charakter ab, z.B. „Ich organisiere meine Arbeit lieber: selbstbestimmt oder nach einem festen Fahrplan“.

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Hier arbeiten wir mit einem Matching-Mechanismus wie ihn auch Dating-Plattformen benutzen. Den Mitarbeitenden im Team werden dieselben Fragen gestellt. Wir brauchen 75% Rücklauf aus einem Team, damit die Durchschnittswerte aussagekräftig sind. Wir nennen das Ergebnis „Team-DNA“. Als Bewerber*in kann ich davon ausgehen, dass mir Teams empfohlen werden, mit deren Team-DNA mein eigener Charakter übereinstimmt.

Letztendlich ist es ein Anreiz für Bewerber*innen, bei der Arbeitsplatzsuche mal die eigene Komfortzone zu verlassen. Vielleicht werde ich in einem Fachbereich, den ich überhaupt noch nicht kenne, in dem aber Menschen von meinem Schlag arbeiten, viel glücklicher?

Was passiert auf den Johannesstift Diakonie Teamseiten?

Es war uns sehr wichtig, dass sich die Teams dort eigenständig vorstellen und nicht Marketing-mäßig verwurstet werden. Jedes Team hat also einen „Art Director“ ernannt, der mit dem Recruiting Team in Verbindung steht und von uns Support bekommt. Wir helfen z.B. mit kostenloser Unterleg-Musik für Videos, Tipps und Tricks, wie ich überhaupt ein Video erstelle welche Inhalte noch interessant für Bewerber*innen sein könnten.

Das kann zum Beispiel ein Team-Motto sein. Die Endoskopie der Evangelischen Elisabeth Klinik formuliert: „Wir behandeln unsere Patient*innen so, wie wir behandelt werden möchten.“ Oder ein paar Zahlen, z.B. Wir sind 18 Personen im Team, sprechen 7 Sprachen und es gibt 8 Rollatoren auf unserer Station. Oder drei Dinge, für die unser Team steht. Die Innere Medizin im Martin Luther Krankenhaus zählt auf: „Pünktlicher Feierabend, es sind immer Süßigkeiten vorhanden, fast jeder Dienstplanwunsch wird erfüllt.“ Videos und Fotogalerien sind im Template vorgesehen, Kurzinterviews mit einzelnen Mitarbeitenden können eingefügt werden oder Infokästen zum Einarbeitungskonzept.

Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich und wir haben wenig eingegriffen. Das eine Team präsentiert sich etwas sachlicher, das andere witziger. Nun könnte man den einen sagen, sie müssen mal mehr aus sich herauskommen, und den anderen, sie kommen unseriös rüber, aber wer will sich anmaßen, das zu bewerten? Die Teams ticken eben wie sie ticken und es bringt nichts, sich zu verstellen. Wichtig ist doch, dass der oder die Bewerber*in sich mit seinem*ihrem Charakter wiederfindet.

Welche ist Deine Lieblingsteamseite?

Mein persönlicher Favorit ist die Teamseite des Zentral OPs im Martin Luther Krankenhaus. Die Seite ist unglaublich menschlich geworden. Am besten gefallen mir die Outtakes vom Videodreh! Da bekomme ich auch als Nicht-Pflegefachkraft Lust, in einer solchen Atmosphäre zu arbeiten. Interessanterweise hat sich die Teamatmosphäre in vielen Teams durch die gemeinsame Arbeit an den Teamseiten sogar noch verbessert. Die Aktion hatte beinahe nebenbei einen Teambuilding Effekt.

Wir haben gemerkt, dass die Arbeit am Team-O-Maten etwas mit unseren Teams bei der Johannesstift Diakonie gemacht hat. Sie haben sich über ein halbes Jahr lang mit ihren Stärken und Schwächen beschäftigt und sich auch selbst kritisch hinterfragt. Und das mitten in der Pandemie, als sie eigentlich andere Dinge im Kopf hatten als Personalmarketing. Als aber gleichzeitig der Teamzusammenhalt wichtiger denn je wurde.

Wie habt ihr skeptische Teams überzeugt?

Manchmal waren es überraschenderweise gerade die skeptischsten Teams, die die kreativsten Ideen hatten! Alle haben berichtet, die Aktion habe sie als Team zusammengeschweißt und ihnen noch einmal vor Augen geführt, „was wir hier eigentlich Tolles haben“. Klar arbeiten wir im Schichtdienst, klar haben wir auch mal eine Leasingkraft, die anstrengend ist. Es sind die gleichen Herausforderungen wie in allen anderen Gesundheitseinrichtungen auf dem Markt. Aber uns geht es dennoch vergleichsweise gut.

Der Team-O-Mat wird von unseren eigenen Mitarbeitenden akzeptiert. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir uns während der gesamten Konzeptionsphase Feedback direkt aus der Pflege geholt haben. Die ersten Umsetzungsansätze gingen eher in Richtung „Der schlaue Pflegefuchs“.  Das kam gar nicht gut an. Die Kolleg*innen sagten: „Wir sind keine Tiere, wir sind nicht niedlich. Wir wollen neutral dargestellt werden wie jede andere Berufsgruppe auch.“ So kamen wir dann gemeinsam mit unserer Agentur Orca Campaign aus Hamburg – auch vor dem Hintergrund der Gamification-Methode – auf die Darstellung im Computerspiel-Look mit zwei pixeligen Moderator-Figuren namens Timo und Martha.

Wie werdet ihr das neue Recruiting-Instrument der Johannestift Diakonie einsetzen?

Es gibt die Team-O-Mat Website, wo jede Pflegekraft, die Lust hat, den Test durchlaufen kann. Wir setzen ihn auch intern ein, wenn sich jemand umorientieren möchte. Unsere Auszubildenden werden am Ende der Ausbildung aufgefordert, zusätzlich zu ihren Hospitationen in verschiedenen Abteilungen den Team-O-Maten auszuprobieren, um ihre Entscheidung für ihre Festanstellung zu treffen. In den Social Media küren wir jede Woche ein „Team der Woche“, das ausgelost wird, und bei Spotify laufen zwei Werbespots.

Auch auf Messen können wir den Team-O-Maten einsetzen. Und wir hoffen, dass die Medien den einzigartigen Ansatz aufgreifen. Wie kürzlich der Berliner Tagesspiegel in dem Beitrag: “Dating-Ansatz für Pflegekräfte: Eine App sucht das passende Team“.

Welchen Hintergrund braucht man als Recruiter*in, um auf solche Ideen zu kommen?

Ursprünglich komme ich aus dem Bereich Kommunikation / Start-up. Nach dem Love-Parade-Ticket für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) habe ich als Producer in einem gläsernen TV-Studio am Potsdamer Platz gearbeitet. Danach war ich 11 Jahre lang in der Öffentlichkeitsarbeit der Victor’s Group tätig, zu der 120 Senioreneinrichtungen deutschlandweit gehören. Und ein Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit ist ja zunehmend das Personalmarketing. So haben das Personalmarketing und ich uns gefunden und gematcht.

Das Sozial- und Gesundheitswesen liegt mir als Branche am Herzen, seit ich selbst einen schweren Unfall hatte und einen Rollstuhl benötige. Ich habe mich viel damit auseinandergesetzt, wie ich mein altes und mein neues Leben zusammenbringe. Die Themen Kommunikation, Contentproduktion auf der einen und Inklusion, Diversity, Partizipation auf der anderen Seite. In meinem jetzigen Job gelingt mir das.

Doch ich will auch Wirtschaft und Vertrieb nicht verteufeln. Ich finde es gerade spannend, Elemente aus diesen Bereichen wie zahlenbasiertes Performance Recruiting mit der Menschlichkeit zusammenzubringen. Diese beiden Seiten spiegeln sich ja auch in jeder Personalabteilung, wo Personaler*innen aus der klassischen HR-Schiene, die sich mit Tarifen, Vertragsrecht und Zeitmanagement beschäftigen, mit Psycholog*innen und Kommunikationsprofis aufeinandertreffen, die eher den Menschen, seine Informationsbedarfe und seine berufliche Entwicklung im Blick haben.

Könnt ihr schon Erfolge des Team-O-Maten der Johannesstift Diakonie absehen?

Timo und Martha lernen ja gerade erst laufen. Daher können wir noch nicht sagen, ob wir durch den Team-O-Maten mehr Bewerbungen erhalten. Aber erste Teams haben uns gespiegelt, dass sie passendere Bewerbungen bekommen. Die ersten Kandidat*innen sind jetzt im Einstellungsverfahren und ich arbeite daran, ein erstes Interview mit einer*m neuen Mitarbeitenden zu führen, der oder die über den Team-O-Maten zu uns gekommen ist. Grundsätzlich ist allein schon das positive Feedback der Art Directors aus den Teams für uns ein Erfolg.

Johannesstift Diakonie Team-O-Mat

Wir versprechen uns von diesem Tool eher eine langfristige Wirkung. Klar, auf den ersten Blick geht es darum, den lustigen Vogel, der nach Feierabend mit seinem Team die Schöneberger Szenekneipen unsicher machen will, mit Gleichgesinnten zusammenbringen. Mittelfristig geht es aber darum, die Fluktuation zu senken, die Unternehmenstreue zu steigern, den Aufwand für das Recruiting herunterzufahren.

Vielleicht bewirbt sich auch nicht jede*r, der den Test macht, sofort. Es macht ja auch Spaß, sich einfach mal da durch zu klicken. Aber wenn ich dann mal soweit bin, über einen Arbeitgeberwechsel nachzudenken, habe ich hoffentlich im Hinterkopf, dass es doch da diesen Team-O-Maten gab, mit dem ich nette neue Kolleg*innen finden kann.

Hat die Johannesstift Diakonie noch weitere spannende Projekte in Arbeit?

Zuerst mal arbeiten wir daran, noch viel, viel mehr Teamseiten online zu bringen. Unser Ziel ist es, 90 Prozent unseres Unternehmens im Team-O-Maten zu repräsentieren. Außerdem arbeiten wir an einem Gehaltsrechner, der für Bewerber*innen mit den Informationen, die sie haben, bedienbar ist, und gleichzeitig unseren komplexen Tarifvertrag mit allen Zulagen abbildet.

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