Die DRK Kliniken Berlin haben kürzlich Pflege-Influencerin Jenny Kuhnert für einen FSJ-Bildungstag engagiert. Im Rahmen der Begrüßungswoche für unsere 80 neuen Freiwilligendienstleistenden des Jahrgangs 2023/24 wollten wir einen coolen Programmpunkt bieten und im Rahmen des Personalmarketings darüber berichten. Die FSJler*innen aber auch dafür sensibilisieren, wie wichtig Social Media-Arbeit für unser Recruiting ist. Was sie als Corporate Influencer*innen dazu beitragen und was sie falsch machen können. Jenny brachte ihre eigenen Anliegen mit – an die jungen Leute und an die Pflegebranche.
Influencer*innen finden im Recruiting verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Man kann eigene Mitarbeitende zu Corporate Influencer*innen ausbilden, die im Namen des Unternehmens Social Media-Arbeit machen. Externe, professionelle Influencer*innen können einem Unternehmen z.B. mit einem Instagram Takeover oder gesponserten Beiträgen in ihren eigenen Kanälen ein modernes Image verpassen. Sie können als „Stargäste“ bei Mitarbeiterveranstaltungen auftreten, worüber man dann wieder im Personalmarketing berichten kann. Was im Idealfall Bewerber*innen neugierig macht.
Pflegeinfluencer*innen zahlreich vorhanden
Als ich vor vier, fünf Jahren für die Diakonie Deutschland mit Maxim Noise zusammenarbeitete, war es noch schwieriger, eine*n Influencer*in zu finden, der oder die authentisch für das Sozial- und Gesundheitswesen sprechen konnte. Heute gibt es etliche: Franziska Böhler, Vanessa Schulte, Ricardo Lange, Jeannine Fasold, Leonie, Janis Aßmann, um nur einige zu nennen. Und eben Jenny Kuhnert, die auf Instagram inzwischen 10.200 Follower*innen hat. Auch auf Facebook, Twitter und LinkedIn ist sie unterwegs, betreibt ihre eigene Website halbtagsheldin.de und bloggt für ihren Arbeitgeber Avanti.
Jenny Kuhnert ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin mit abgeschlossener Fachweiterbildung Anästhesie und Intensivpflege und ganzheitliche Ernährungsberaterin. Sie ist Mutter eines kleinen Sohnes und im Leasing tätig. Ihr Influencer-Name lautet „Halbtagsheldin“. Moment mal, „Heldin“? Reagieren Pflegekräfte nicht eigentlich allergisch darauf, wenn Sie in Employer Branding-Kampagnen als Superhelden dargestellt und während einer Pandemie beklatscht werden?
„Meinen ursprünglichen Influencer-Namen Halbtagsheldin habe ich gar nicht auf meinen Beruf bezogen, sondern auf mein Privatleben bzw. darauf, wie ich versuche, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen“, erklärt Jenny. „Aber inzwischen verwende ich sowieso meinen echten Namen, weil ich berufspolitisch tätig bin und man mich so besser findet. Unter Jenny Kuhnert bin greifbarer und auch ein Stück erwachsener.“
Den richtigen Influencer fürs Unternehmen auswählen
Bei der Auswahl des Influencers oder der Influencerin, die für das Unternehmen engagiert werden soll, ist es wichtig, sich Kriterien zu überlegen. Warum gerade dieser Protagonist und nicht ein anderer? Dass Jenny Kuhnert dazu steht, dass sie als Pflegekraft im Leasing arbeitet, passt z.B. eigentlich eher nicht zu uns als Klinikverbund, der sich gegen Leasing in der Pflege engagiert. Als wir jedoch mit Jenny über das Thema sprachen, erklärte sie sich einerseits bereit, es unter den FSJler*innen, die erstmal für die Pflegeausbildung gewonnen werden sollen, auszuklammern. Und andererseits stellten wir fest, dass sie eine sehr differenzierte Sicht auf das Thema hat.
„Ich bin nicht uneingeschränkt pro Leasing und weiß, dass die Kosten für Leasingkräfte zu hoch sind. Und dass wir darüber reden müssen wie es sich entwickelt hat – vom Lösungsansatz für das Ausfallmanagement zu einem Kontext, in dem Leasing einen Großteil der Stationsbesetzungen stellt. Das ist natürlich kein Dauerzustand“, sagt sie. „Die Masse an Leasingfirmen muss eingegrenzt werden, denn sie schießen wie Pilze aus dem Boden, machen sich gegenseitig Konkurrenz und treiben die Preise noch weiter.”
„Aber das hat sich alles nicht von heute auf morgen entwickelt, sondern weil jahrelang in Sachen Personalbindung und Gehalt in der Pflege nicht viel passiert ist. Alles, was jetzt inzwischen gemacht wird, verbuche ich unter dem englischen geflügelten Wort ‚too little too late‘. Man kann nicht erwarten, dass sich ein Missstand von heute auf morgen auflöst, der sich lange angebahnt hat.“ Jenny Kuhnert plädiert für einen Diskurs mit allen Beteiligten – Leasingfirmen, Finanzierern, Angestellten – und für einen Kompromiss, der für alle einen Benefit bereithält.
Wo wollen sie hin?
Zur Diskussion, ob Pflegekräfte, die jetzt in der Zeitarbeit gebunden sind, denn überhaupt in die Gesundheitseinrichtungen zurückgehen würden, wenn Leasing verboten werden würde, hat Jenny auch eine Meinung. Sie glaubt, dass die meisten in Gesundheitsämtern, Schulen, Kitas, beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder bei Betriebsärzten in der freien Wirtschaft eine Anstellung finden würden. Und zitiert eine aktuelle Umfrage unter 4.000 Pflegekräften im Leasing, bei der 55 Prozent sagten, sie würden bei einem Verbot von Zeitarbeit nicht in die Festanstellung im Krankenhaus oder Pflegeheim zurückkehren.
Wir von der „Krankenhaus-Seite“ glauben, dass das leichter gesagt als getan ist. Es gibt keine tausenden Stellen für Pflegekräfte in Gesundheitsämtern. Und als Quereinsteiger*in in anderen Branchen ohne passende Ausbildung würde man viel weniger verdienen als als examinierte Fachkraft in der Pflege. Das überlegt man sich sicher zweimal. Unserer Erfahrung nach haben viele Pflegekräfte ihren Job aus Berufung gewählt und weil sie sich nichts anderes vorstellen können als „mit Menschen“ zu arbeiten. Ob ein Pflexit in eine andere, genauso vom Fachkräftemangel geplagte Branche sie glücklich machen würde? Auch sind eher wenige Pflegekräfte daran interessiert, sich als Case Managerin, Zentraler Praxisanleiter, Study Nurse, Pflegepädagogin oder Pflegewissenschaftler weiterzuentwickeln. Das könnten sie ja jetzt auch schon tun, um aus dem 3-Schicht-System weg zu kommen und keine Nachtdienste mehr machen zu müssen. Aber nur einige wenige tun es. Insofern haben wir Hoffnung für die Pflege am Bett.
Wie auch immer, wir merken, dass man mit Jenny über solche Themen ganz konstruktiv diskutieren kann. Und sind überzeugt, dass sie zu unserer Veranstaltung passt, auch wenn wir nicht in allem die gleiche Meinung haben.
Nicht in der Marketing-Bubble steckenbleiben
Was uns auch imponiert: Dass Jenny Kuhnert als Influencerin nicht in der Social Media-/Marketing-Blase steckengeblieben ist. Sie ist inzwischen Mitglied im Bochumer Bund, im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), in der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V. (DGF) und in einer Partei, weil sie etwas verbessern möchte. Sie setzt sich für eine Pflegekammer ein, um in der Politik wahrgenommen zu werden, und ruft ihre Pflege-Kolleg*innen auf, es ihr gleich zu tun.
„Ich mag es nicht, wenn man über Sachen redet, von denen man keine Ahnung hat“, sagt Jenny. „Wenn jemand über den Pflegenotstand und Personalmangel spricht, aber in keiner Weise berufspolitisch organisiert ist (in der Gewerkschaft, im Berufsverband), widerspricht sich das in meinen Augen. Nur meckern und die Krise aussitzen hilft nicht, da müssen auch Konsequenzen folgen.”
„Mein Aufruf an alle Pflegekräfte, die schon in der Ausbildung oder im Beruf sind oder ihn ergreifen wollen, lautet: Befasst euch mit euren Möglichkeiten, selbst etwas zu verändern! Klar kostet die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, im Berufsverband oder in der Pflegekammer – wenn es sie irgendwann geben sollte – Geld. Man muss ja aber nicht auf jeder Party tanzen. Und man muss auch nicht unbedingt selbst aktiv mitarbeiten. Aber zumindest in einer Organisation Mitglied sein und auf diese Weise seinen Beitrag leisten, das ist wichtig. Anders werden wir nicht vorankommen. Es gibt keinen ‚Retter‘, der irgendwann vorbeikommen und alles regeln wird. Wir sind unsere eigene Rettung!“
Exklusiv für Abonnent*innen
Ein paar Fragen sind nun noch offen:
- Was wünschen sich Pflege-Influencer*innen wie Jenny Kuhnert von Unternehmen, die z.B. für Personalmarketingzwecke mit ihnen zusammenarbeiten wollen?
- Welches Honorar muss man einplanen?
Auf diese Fragen gehe ich im folgenden Abschnitt exklusiv für Recruiting2Go-Abonnent*innen ein. Außerdem geht es um die Idee, Freiwilligendienstleistende einzusetzen, um einen Unternehmenskanal bei TikTok zu bespielen.
- FSJler*innen und TikTok: Warum und unter welchen Bedingungen ist das ein gutes Match?
- Wie haben unsere FSJler*innen auf die Idee reagiert?
- Um welche Schattenseiten der Social Media und des Influencer-Daseins ging es in ihrer lebhaften Diskussion mit Jenny Kuhnert?
- Und wie hat ihnen unser FSJ-Bildungstag zum Thema Recruiting und Social Media gefallen?
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Beruflich rät die Pflege-Influencerin den jungen Leuten vor allem, mit einem Profil auf LinkedIn präsent zu sein. Wenige FSJler*innen sagten, dass sie dort aktiv seien. Dabei ist das im Moment DIE Plattform, um sich im Karrierekontext zu vernetzen – gerade auch als Berufseinsteiger*in. Und das Publikum dort ist seriöser als in anderen sozialen Netzwerken.
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