Uiuiui, ist das letzte HR Barcamp, jedenfalls als Live-Veranstaltung, tatsächlich schon vier Jahre her? In der Tat, die Pandemie lässt grüßen. Umso größer die Freude, beim Comeback in einer neuen Location alte Bekannte und die Stars der Szene – Tim Verhoeven, Marcel Rütten, Henner Knabenreich, Peter Wald & Co. – wiederzusehen! In diesem ersten Artikel zur Veranstaltung geht es um Kompetenzen, die ein*e gute*r Recruiter*in braucht. Und die Frage, wo die bitteschön herkommen sollen. Denn im BWL-Studium oder in der Ausbildung als Personaldienstleistungskaufmann*frau lernt man die meisten davon schonmal nicht.

Am Anfang jedes Barcamps steht die Frage: Worüber wollen wir denn diesmal sprechen? Die Session Pitches finden diesmal am Vorabend des eigentlichen HR Barcamp 2023 in einem abgetrennten Eventbereich in der Arminiusmarkthalle im Wedding statt. Da ist es laut und warm und riecht nach Essen, die Atmosphäre passt aber zum „Marktplatz der Ideen“, der nun aufgerollt wird. Gepitcht werden Sessionideen rund ums Gehalt (z.B. „Gehaltsbestimmung in selbst organisierten Teams“, „Erfolgsbeteiligung für Mitarbeitende“). Und rund um die moderne Führungskultur (z.B. „Wie misst man gute Führung?“, „Kulturwandel im Unternehmen durch Leadership“, „Wie Mitarbeitende dazu angeregt werden können, Transformation mitzugestalten“).

HR Barcamp-Mitgründer Christoph Athanas wundert sich, dass es sehr lange dauert, bis das Thema Künstliche Intelligenz (KI) aufs Tapet kommt. Und das auch nur zwei Mal. Diskutiert werden soll, welche HR Jobs durch KI möglicherweise wegfallen bzw. wobei uns KI in der HR helfen kann. Und in der anderen Session, welchen Einfluss ChatGPT auf das Active Sourcing haben kann. Vor allem nach dem (sehr schöner O-Ton einer Teilnehmerin) „Ableben von XING“.

Wenn aus gesellschaftlichen Trends Recruiting Trends werden

Trendthemen aus der Medienlandschaft finden intensiven Eingang in die Diskussionsvorschläge der HR Barcamp-Teilnehmer*innen. Etwa: „Femployer Branding: Feminismus in der Arbeitswelt“. „Die 4-Tage-Woche“ oder „HR for future: Klimawandel, Nachhaltigkeit, Green Jobs in der Unternehmensstrategie“. „Aber bitte nicht im Sessionsaal festkleben!“, kommentiert Christoph Athanas mit einem Augenzwinkern.

Solche „heißen Eisen“ der öffentlichen Debatte sollte man sich als Recruiter*in immer gut ansehen. Denn auch Bewerber*innen konsumieren Medien und setzen sich mit diesen Themen auseinander. Agenda-Surfing ist schon immer eine gute Methode gewesen, um redaktionelle Suchmaschinenoptimierung für eine Website zu betreiben. Warum also nicht auch für das Karriereportal oder den Karriereblog? Natürlich sollten die entsprechenden Inhalte ernsthaftes Interesse vermitteln. Und nicht wie Clickbait wirken. Das merken die Bewerber*innen nun wirklich sofort!

Nicht zuletzt erinnern Sessionideen wie „Hybrides Arbeiten“ und „Back to the office: Wie entsteht eine Onsite Culture?“ an die großen Fragen, die von der Pandemie übriggeblieben sind. Und natürlich sind auch Recruiting-Pitches und -Sessions dabei (z.B. „Internationales Recruiting“ oder „Aus dem Nähkästchen eines Headhunters“), wenn auch weniger als in den vergangenen Ausgaben des HR Barcamp. Das sind natürlich die, die mich interessieren.

Welche Kompetenzen braucht ein Recruiter und wie kann man sie aufbauen?

Die erste Session, die ich besuche, wird von Wollmilchsau, der Agentur für Personalmarketing und Employer Branding, angeboten. Es geht um Fort- und Weiterbildung für Recruiter*innen. Denn – da sind sich alle Teilnehmer*innen einig – das, was man in diesem Job können muss, lernt man weitestgehend nicht in der Ausbildung oder im Studium.

Folgende aktuelle Probleme werden beim HR Barcamp 2023 identifiziert:

Problem 1: In den wachsenden oder neu eingerichteten Recruiting Abteilungen der Republik werden viele unerfahrene Junior Recruiter*innen eingestellt. Frische BWL- oder Personalmanagement-Absolvent*innen von der Hochschule, neue Mitarbeitende mit einer gerade beendeten Ausbildung als Personaldienstleistungskaufmann*frau oder Quereinsteiger*innen aus dem Journalismus. Allesamt ohne Praxiserfahrung im eigentlichen Recruiting. Und das macht es schwer, effizient zu rekrutieren.

Problem 2: Viele Unternehmen bevorzugen für ihre Stellen im Recruiting Team Kandidat*innen mit Bachelor- oder Masterabschluss. Personalgewinnung ist schließlich eine unternehmensstrategische Aufgabe. Und Recruiter*innen fürchten insgeheim, ihr Standing zu verlieren, wenn sie nach dem Motto „Recruiting kann jeder lernen“ auch Quereinsteiger*innen ins Team holen. Und das, obwohl die Erfahrung aus der Praxis besagt, dass das richtige Mindset (incl. Servicementalität, Pioniergeist, Reporter*innentalent, Kreativität) für eine*n gute*n Recruiter*in viel wichtiger ist als die Qualifikation. Alles, was man im Studium oder in der Ausbildung lernt und was letztendlich dann wirklich im Recruitingalltag relevant ist, kann man auch on the job beibringen. Das richtige Mindset dagegen nicht.

Von der Durchlauferhitzerposition in den Recruiterburnout

Problem 3: Die Kompetenzen, die ein*e Recruiter*in braucht (von SEO- und Usability-Kompetenzen über Tool-Kompetenzen bis hin zu journalistischen Kompetenzen), werden immer vielfältiger und weder im BWL- oder Personalmanagementstudium, noch in einer zertifizierten Fortbildung als Recruiting Specialist oder Employer Branding Expert umfassend vermittelt. Aufgrund dieser hohen Anforderungen bei gleichzeitig hoher Frustration (Fließbandarbeit, Sisyphosaufgabe) sind Recruitingjobs oft Durchlaufpositionen. Nach maximal fünf Jahren verlieren viele die Motivation oder enden gar im Recruiter*innen-Burnout.

Problem 4: Die wenigen erfahrenen Recruiter*innen der ersten Stunde, die sich ihr Wissen selbst angeeignet haben, sind überfordert damit, es jetzt an die nächste Generation weiterzugeben. Denn nur vereinzelte Recruitingbereiche wie Fragetechniken für das Vorstellungsgespräch sind gut erforscht. Für die meisten Aufgabengebiete gibt es keine Standards, keinen Konsens und keine wissenschaftliche Erkenntnisse. Vergeblich sucht man z.B. nach einer offiziellen Definition, was eine gute Stellenanzeige ausmacht – umfangreich beschrieben aus psychologischer, redaktioneller, technischer und datenanalytischer Sichtweise.

Recruiter*innen im Sozial- und Gesundheitswesen: ein besonderes Völkchen

Oh je, ganz schön viele Probleme. Während ich der Diskussion zuhöre, wird mir außerdem wieder einmal klar, wie sehr sich das Recruiting im Sozial- und Gesundheitswesen vom Recruiting in der Wirtschaft und in Konzernen unterscheidet. Manche Themen wie Eignungsdiagnostik und Vertragsverhandlungen spielen bei uns überhaupt keine Rolle, da fehlt uns jegliche Kompetenz. Denn diese Aufgaben übernehmen Pflegedienstleitungen und Chefärzt*innen.

Bei anderen Bereichen müssen Recruiter*innen in unserer Branche dagegen mehr drauf haben als in anderen. Während ein*e Sachbearbeiter*in im Recruiting Team eines Wirtschaftskonzerns z.B. eher vertriebsmäßig Bewerber*innen am Fließband anruft oder anhand von Daten, die ihm oder ihr jemand anders aufbereitet hat, die Kanäle für die Schaltung einer Stellenanzeige auswählt, müssen Recruiter*innen in kleinen Teams im Sozial- und Gesundheitswesen selbst in der Lage sein, Zahlen (auch in wenig digitalisierten Umfeldern) zusammenzustellen und zu interpretieren. Wenn die Leitung Recruiting mal abwesend ist, kommt ein*e Sachbearbeiter*in schnell in die Situation, ein großes Projekt wie den Wechsel des Bewerbermanagementsystems weiterzuführen oder die Recruitingstrategie gegenüber Führungskräften zu verteidigen. Schema F ist hier nicht angesagt.

HR Barcamp 2023 Fazit: Lebenslanges Lernen auch im Recruiting notwendig

Das Fazit der Session beim HR Barcamp 2023, bei der noch viele andere Recruiter*innen-Kompetenzen wie etwa gutes Zeitmanagement, Verkaufstalent, Überzeugungskraft, Empathie, Human Centricity oder Stakeholder Management zur Sprache kommen, und auch für diesen Blogartikel kann nur lauten: Eigentlich muss eine Fortbildung für Recruiter*innen vor allem eins leisten. Sie muss Menschen, die eine Karriere im Recruiting anstreben, dafür sensibilisieren, wie vielfältig das Arbeitsfeld eigentlich ist. Sie muss aufzeigen, auf welche Bereiche man sich spezialisieren kann (von Active Sourcing bis Personalmarketing, von Wirtschaft bis Gesundheitswesen). Wie man herausfindet, welche Bereiche zu einem passen, und welche unterschiedlichen Kompetenzanforderungen mit dieser Entscheidung einhergehen.

Sie muss anregen, sich permanent selbst weiterzubilden und neue Kompetenzfelder zu identifizieren. Vielleicht wäre es auch eine Idee, überlege ich im Nachgang, im Recruiting ähnlich wie im Journalismus ein Volontariat oder Traineeprogramm nach dem Bachelor- oder Masterabschluss einzuführen. Dort würde man dann nach den HR Basics im Studium das eigentliche Recruiter*innenhandwerk erlernen. Ich hatte hier im Blog auch schon von meinen Teamfortbildungen berichtet, mit denen ich mein kleines Team bei den DRK Kliniken Berlin fit im zeitgemäßen Recruiting gemacht habe. Nach dem Barcamp fühlen wir uns sehr motiviert, dieses zugegebenermaßen etwas eingeschlafene Format wieder zum Leben zu erwecken, und haben auch gleich mindestens zwei Ideen für weitere Teamfortbildungen mitgebracht!

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