Wie wichtig das Thema ausländische Fachkräfte gerade in den Sozial- und Pflegeberufen inzwischen geworden ist, zeigt folgende Beobachtung.

Einer der meistgelesenen Artikel hier in meinem Blog ist dieser: Chinesische Pflegekräfte in Deutschland: Herausforderungen der Rekrutierung. Im März 2018 hatte ich in dem Artikel über die Sinologin Olivia Prauss berichtet, die sich mit YANGLAO Altenpflegeservices selbstständig gemacht hat und Pflegekräfte aus China nach Deutschland vermittelt. Nun konnte ich sie nach ihren Erfahrungen in den ersten Geschäftsjahren befragen und mit einer der Chinesinnen sprechen, die sie nach Deutschland geholt hat: Jingwen Zhang (22, siehe Foto) aus Panzhihua in China macht die Ausbildung zur Heilerziehungspflegeassistentin bei der Diakonie Kork. Im zweiten Anlauf hat sie es geschafft, in Deutschland Fuß zu fassen. Aus ihrer Geschichte lässt sich einiges lernen.

Irrwege sind normal: Ausländische Pflegekräfte machen Umwege

Der Weg eines ausländischen Bewerbers nach Deutschland verläuft nicht immer geradlinig. Das ist völlig normal und sollte von Seiten der Arbeitgeber nicht als Scheitern verstanden werden.  „Ich habe in China die Krankenpflegeausbildung gemacht“, erzählt Jingwen Zhang. „Vor etwa fünf Jahren habe ich gehört, dass in Deutschland Pflegekräfte gesucht werden. Deutsch ist eine Fremdsprache für mich und Deutschland ein fremdes Land, und das fand ich interessant. In China habe ich einen Deutschkurs gemacht und die B1 Prüfung bestanden. Dann bin ich nach Deutschland gekommen und habe eine Altenpflege-Ausbildung angefangen. Aber ich wurde krank und musste von August 2017 bis Mai 2019 zurück in meine Heimat gehen. Im Mai 2019 kam ich wieder nach Deutschland, zuerst für einen kurzen Freiwilligendienst und seit September 2019 mache ich die Heilerziehungspflegeassistenten-Ausbildung.“

Olivia Prauss von YANGLAO Altenpflegeservices sieht sogar einen gewissen Vorteil darin, dass Jingwen Zhang sich zum zweiten Mal auf den Weg gemacht hat: Sie weiß jetzt, was sie hier erwartet, und hat die Entscheidung ganz bewusst getroffen – im Gegensatz zu anderen ausländischen Fachkräften, die teils blauäugig und mit unrealistischen Vorstellungen herkommen. „Die interkulturelle Vorbereitung ist Teil der Vorbereitung für Pflegekräfte und Auszubildende“, so Prauss. „Ich vermittle niemanden nach Deutschland, ohne vorher über einige Besonderheiten gesprochen zu haben. Während des Trainings besprechen wir auch, welche schwierigeren Situationen auftreten können und was man dann tun kann. Die Vorbereitung beinhaltet z.B. Informationen zu Deutschland, über den Pflegesektor allgemein und kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und China. Ich stimme die Vorbereitung auf die konkrete Situation der Teilnehmer ab. Bei Jingwen war ein wesentlich weniger umfangreiches Training notwendig, weil sie schonmal in Deutschland gewesen war, die Sprache gut beherrschte und realistische Vorstellung vom Leben in Deutschland hatte. Viele Eigenheiten kannte sie bereits. Sie ist auch sehr selbständig und man merkt, dass sie es gewohnt ist, sich im Ausland selbst zu organisieren. Es war schön, wie sie sich, als sie frisch in Kork angekommen war, gefreut hat, da zu sein und die vielen Einrichtungen der Diakonie kennenzulernen. Das ist ein Moment indem man die längere Vorlaufzeit mit Formalitäten und Bürokratie wegschiebt und denkt: Der Aufwand hat sich gelohnt.“

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Ein fester Ansprechpartner ist das Wichtigste

Für Jingwen Zhang ist die Gründerin von YANGLAO Altenpflegeservices die erste Ansprechpartnerin: „Olivia hat mich vom Flughafen abgeholt und mir mit den Dokumenten geholfen. Sie ist sehr wichtig für mich, ich frage sie oft, wenn ich etwas nicht verstehe.“ Obwohl natürlich auch in der Einrichtung vor Ort Ansprechpartner in der Personalabteilung und im Arbeitsteam zur Verfügung stehen, entwickeln Mitarbeiter aus dem Ausland oft eine enge (emotionale) Bindung an die erste Person, die sich im neuen Land um sie gekümmert hat. Gerade im Problemfall ist es für beide Seiten angenehm, eine externe Vertrauensperson um Hilfe bitten zu können. Zumal Personalvermittler wie Olivia Prauss meist viel besser wissen, wo der Schuh drückt, als Personalreferenten, die vielleicht zum ersten Mal mit einem ausländischen Bewerber zu tun haben. Dass man jemanden, dessen Visum von einem Arbeitsvertrag abhängt, nicht ewig auf die Unterlagen warten lassen kann, weil er sonst nervös wird und möglicherweise andere Optionen prüft, ist zum Beispiel so eine Sache, die im internationalen Recruiting sogar noch wichtiger ist als bei Bewerbungsverfahren mit deutschen Kandidaten. Daraus folgt zweierlei: Wer mit Hilfe eines Personalvermittlers Auszubildende oder Fachkräfte aus dem Ausland holt, sollte darauf achten, dass der Dienstleister auch Betreuungsleistungen mit anbietet, die natürlich zusätzlich bezahlt werden müssen. „Ich möchte, dass die Pflegekräfte und Auszubildenden, die nach Deutschland kommen, wissen, dass sie sich neben dem Arbeitgeber und der Schule immer auch an mich wenden können“, sagt Olivia Prauss. Und zweitens sollte der Arbeitgeber seine Personaler*innen und Teams im Einfühlungsvermögen für ausländische Pflegekräfte schulen. „Pflegeanbieter reagieren leider wenig auf mein Angebot, ein interkulturelles Teambuilding durchzuführen“, bedauert Olivia Prauss. „Oft gehen sie davon aus, dass sie bereits kulturell sensibel sind, was ich als Außenstehende manchmal anders einschätze. Außerdem würde ein Chinese selbst dem einfühlsamsten Arbeitgeber seine Kritik oder Unzufriedenheit eher nicht direkt nennen. Es ist schön, wenn ein Training nicht nur auf Deutsche und Chinesen abzielt, sondern auch die vielen Nationalitäten und Kulturen mit einbezieht, die oft schon in einem Pflegeteam in Deutschland vorhanden sind.“

Ausländische Pflegekräfte müssen auch privat „ankommen“

Fragt man Jingwen Zhang, wie es ihr in Deutschland gefällt, erzählt sie: „Der Ort Kork ist sehr klein, aber schön. Er ist nah an Frankreich und Karlsruhe. Ich war schon in Straßburg und Karlsruhe, dort hatte ich ein Seminar. In meiner Heimatstadt in China leben 1 Million Menschen, sie gilt dort als kleine Stadt! Andere Unterschiede, die mir aufgefallen sind: In China essen wir dreimal warm pro Tag. In Deutschland wird nur einmal warm gegessen. Bei uns gibt es mehr Hochhäuser, hier mehr kleine Häuser, aber das gefällt mir. Hier ist mehr frische Luft. Aber in Deutschland ist es auch langweilig, es gibt zu wenige Unterhaltungsangebote. Man geht nach der Arbeit einfach nur nach Hause.“

Harmlose Beobachtungen? Wer genau zuhört, erkennt die Punkte, die auf Dauer kritisch werden und die nachhaltige Bindung der 22-Jährigen an ihren Arbeitgeber stören könnten. Was aber nur gut ist, denn reibungslos wird es bei keinem Kandidaten aus dem Ausland laufen, und wenn man die Hürden kennt, kann man rechtzeitig gegensteuern. Jingwen kommt also aus einer – für deutsche Verhältnisse – Großstadt und ist nun in einem Dorf gelandet. Das ist nicht ungewöhnlich, denn gerade in der Provinz ist es schwer, Mitarbeiter in Sozial- und Pflegeberufen zu finden. Damit sie das Stadtleben nicht zu sehr vermisst, sollte der Arbeitgeber darauf achten, ihr Möglichkeiten für regelmäßige Ausflüge in die Stadt zu schaffen. Eine Bahncard, Unterstützung beim Erwerb des deutschen Führerscheins oder dienstliche Termine in der Stadt könnten gute Ideen sein. Außerdem sehnt sich die junge Chinesin nach Abwechslung am Feierabend. Verständlich in ihrem Alter. Freundschaften zu knüpfen kann dauern. Hier könnte der Arbeitgeber die Teamkolleg*innen bitten, ausländische Pflegekräfte wie Jingwen reihum zum Abendessen oder zu einem kleinen Ausflug einzuladen oder ihnen beim Finden eines Hobbies behilflich zu sein. Irgendwann wird Jingwen auf eigenen Füßen stehen, doch gerade die ersten Monate und Jahre sind entscheidend. Da ist es auch hilfreich, mehrere Pflegekräfte aus dem gleichen Land gemeinsam ins Unternehmen zu holen, die sich gegenseitig unterstützen und austauschen können. Auch in Kork werden bald weitere Pflegekräfte aus China erwartet.

Pflegekräfte aus China: Insgesamt läuft es gut für Jingwen

Was die Ausbildung und ihre Zukunftspläne angeht, ist Jingwen Zhang soweit zufrieden. „In China haben wir 2 Jahre in der Schule und 1 Jahr Praktikum. In Kork lernt man die Theorie und Praxis parallel“, berichtet sie. „Ich arbeite mit Kindern mit Behinderung, übernehme die Grundpflege und spiele mit ihnen. Wenn sie Hilfe brauchen, bin ich für sie da. Die schönste Situation habe ich mit einem kleinen Bewohner erlebt, dessen Spielzeug kaputt war. Seit ich es für ihn repariert habe, kommt er immer zu mir und sagt: ‚Ich hab dich lieb!‘ Ich finde ihn sehr süß. Die Diakonie Kork bezahlt mir außerdem einen Deutschkurs. Zweimal die Woche nehme ich Unterricht, das B2 Zertifikat ist das Ziel. Die deutsche Sprache ist schwer, aber Chinesisch ist schwerer. Deutsch ist so ähnlich wie Englisch wegen des Alphabets. Nur die lateinischen Fachwörter finde ich wirklich schwer. Meine Kolleg*innen in der Ausbildung helfen mir aber gerne.“

„Mein größter Wunsch ist, meine Ausbildung gut zu bestehen und dann als Fachkraft hier zu arbeiten“, betont die 22-Jährige. „In ein paar Jahren würde ich gerne eine Familie gründen und kann mir dann auch vorstellen, für immer hier in Deutschland zu bleiben. Wenn das nicht klappt, gehe ich nach ein paar Jahren Berufserfahrung wieder zurück. Schade, dass keiner meiner Freunde aus China nach Deutschland kommt. Manche hätten Lust, aber sie finden Deutsch zu schwer. Ich kenne aber einige Chinesen in Deutschland, in Stuttgart und in Niedersachsen. Manchmal treffe ich sie. Dann kochen wir chinesisches Essen.“

Ausländische Pflegekräfte: „Der Pflegesektor internationalisiert sich immer mehr“

Olivia Prauss von YANGLAO Altenpflegeservices kümmert sich derweil um andere Pflegekräfte, die sie gerade nach Niedersachsen vermittelt hat. Wenn sie die letzten anderthalb Jahre Revue passieren lässt, hat sich viel verändert. „Ich finde es spannend zu sehen, wie sich der Pflegesektor in Deutschland immer mehr internationalisiert“, erzählt die Personalvermittlerin. „Wenn ich die Arbeitgeber frage, aus welchen Ländern aktuell ihre Pflegekräfte und Auszubildenden kommen, bemerke ich eine immer größere Vielfalt und einen wachsenden Länderfokus der Arbeitgeber bei der Personalgewinnung. Das ist auch für chinesische Pflegekräfte spannend, da sie in China bei der Arbeit in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung normalerweise nur auf Chinesen treffen. Da lernt man nicht so leicht jemand aus Rumänien, Jordanien oder Mexiko kennen wie in Deutschland.“

Doch umgekehrt gibt es auch Wermutstropfen: „Meine Erfahrung, dass die Arbeitgeber hohe Ansprüche haben, hat sich verstetig. Es passt einfach nicht immer jeder Mensch in jedes Team und Deutsch ist extrem schwer – da muss man Geduld haben. Wenn bei den Unternehmen die Erkenntnis eintritt, dass die internationale Rekrutierung ein komplexeres Projekt ist als man dachte, spürt man ein wenig Enttäuschung. Ich muss bei einigen Prozessen selbst viel dranbleiben, damit nichts hinten runterfällt und für beide Seiten das Beste herauskommt. So kann ich auch helfen, im Falle von Enttäuschungen auf beiden Seiten gegenzusteuern. Viele Arbeitgeber sind zwar offen für ausländisches Personal, aber ich habe das Gefühl, dass es am Ende auch ein wenig an Zeit mangelt oder manchmal auch an festen (bzw. festgefahrenen) Strukturen liegt, noch einen Schritt weiter zu gehen und den ausländischen Fachkräften weiter entgegen zu kommen.“

„Offenheit und Flexibilität sind wichtig“

Auf deutscher Seite sei es besonders wichtig, Partner zu haben, die offen und flexibel sind, hat Olivia Prauss gemerkt. „Ausländische Pflegekräfte und Auszubildende aus dem Ausland (egal, ob aus China oder anderen Ländern) bringen immer andere Voraussetzungen mit als eine fertige deutsche Pflegefachkraft. Da ist es nicht realistisch zu erwarten, dass eine ausländische Pflegekraft aus dem Flugzeug steigt und sofort mit perfektem Deutsch Vollzeitschichten bewältigen kann, während ihr im Supermarkt noch der Kopf surrt und sie nicht weiß, welches Essen sich hinter den Verpackungen verbirgt, geschweige denn, wie man das kocht. Da bin ich froh, wenn ich einen Arbeitgeber als Partner habe, der das versteht und sich (mit) kümmert. Letztendlich ist es das Ziel, dass die ausländische Pflegekraft die Bindung zum Unternehmen aufbaut und nicht zu mir.”

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