Neue Arbeitszeitmodelle oder neue Schichtmodelle sind mit die besten Argumente im Personalmarketing. Gerade in der Pflege halten viele Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen noch starr am Drei-Schicht-System fest. Mit einem anderen Modell hat man darum sehr leicht die Möglichkeit, sich von anderen Arbeitgebern abzuheben und Bewerber*innen anzulocken!

Wie flexibel sind Sie wirklich?

Flexible Arbeitszeiten – die schreiben sich viele Arbeitgeber auf die Fahnen, doch oft ist es ein leeres Wort. Gut, da wird Gleitzeit angeboten, man kann eine Stunde früher kommen oder eine Stunde später gehen, aber ansonsten alles beim Alten. Home Office wird schon argwöhnisch betrachtet. „Mobiles Arbeiten ist für mich ein Instrument zur Überbrückung von privaten Notfällen“, hörte ich kürzlich aus einer Chefetage, „wenn die Arbeitszeitplanung eines Mitarbeiters grundsätzlich darauf basiert und ohne Home Office gar nicht funktioniert, kann das so nicht laufen.“ Ja, aber wieso denn nicht?

Abends noch zwei Stunden arbeiten, wenn das Baby schläft, geht doch wunderbar! Und ja, manchmal funktioniert die Vereinbarung von Familie und Vollzeitjob leider wirklich nur so. Und selbst ohne Familie tut es jedem Mitarbeiter in Sachen Burnout-Vermeidung gut, einen Tag in der Woche morgens nicht in der überfüllten S-Bahn zur Arbeit hetzen zu müssen, sondern gemütlich im Bademantel und mit einem Kaffee in der Hand vom Bett aufs Sofa umzuziehen, den Laptop anzuwerfen und sich in aller Seelenruhe ohne Störung aus dem Bienenstock Büro auf die Fertigstellung eines Strategiepapiers zu konzentrieren.

37 verschiedene Arbeitszeitmodelle in der Pflege – really?

Ein anderes Argument, das ich oft höre: “Ja, aber wir bieten doch schon 37 verschiedene Arbeitszeitmodelle, wie viele sollen wir denn noch bieten?” Wie bitte, 37 verschiedene Modelle, wie kommt denn diese Zahl zustande? Wenn man genau hinsieht, ist sie eine Ausgeburt der Arbeitszeiterfassung. Da ja nun alle Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind, die Arbeitszeit zu erfassen, und die allermeisten das mit einer digitalen Zeitmanagement-Software machen, kommt es zu diesen absurden, realitätsfernen Berechnungen.

Es gibt nämlich den Unterschied zwischen wirklich flexibler digitaler Zeiterfassung, wo die Software ab der Minute rechnen, ab der der Mitarbeiter sich morgens mit seiner Chipkarte einloggt. Diese sind in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen eher nicht im Einsatz, weil nicht ab dem Zeitpunkt gerechnet wird, ab dem der Mitarbeiter tatsächlich das Gebäude betritt, sondern ab dem Zeitpunkt, wo er planmäßig auf Station aufzutauchen hat.

Daher sind Zeiterfassungssysteme im Einsatz, bei denen die Arbeitszeit aus dem Dienstplan heraus erfasst wird. Dazu müssen vorher verschiedene Dienstzeit-Optionen im System eingegeben werden, der Mitarbeiter wird sodann für eine davon verplant (und kann auch nur für solche Dienste verplant werden, die im System vorgesehen sind), und anschließend wird diese Dienstzeit in die persönliche Zeiterfassung übertragen.

Starres Korsett statt flexibler Arbeitszeit

Wenn nun ein Krankenhaus neben dem Drei-Schicht-System für Pflegekräfte die Gleitzeiten der Verwaltungskräfte in ein starres Korsett presst (7 bis 15.30 Uhr, 7.30 bis 16.00 Uhr, 8 bis 16.30 Uhr, 8.30 bis 17.00 Uhr und so weiter, dann das Ganze nochmal für Teilzeit), kommen ganz schnell etliche “Arbeitszeitmodelle” zustande, die in Wirklichkeit alle nichts anderes als Gleitzeit sind. Auch bei den Dienstoptionen für Pflegekräfte und Ärzte kommen in der Software neben den drei Standardschichten verschiedenste Optionen für Bereitschaft, Springertätigkeit, Teilzeit etc. dazu. Das sind aber keine Arbeitszeitsmodelle! Das ist einfach nur ein schrecklich kompliziertes Dienstplan-Programm!

Hol dir den Personaler-Newsletter "Recruiting2go"!

Deine Daten werden nur für den Versand des Newsletters genutzt. Datenverarbeitung: Mailchimp, USA. Du kannst Deine Einwilligun per Abmeldelink widerrufen. Datenschutz / Newsletter

Gleitzeit reicht nicht

Wie auch immer – Arbeitgeber, die flexible Arbeitszeiten oder Schichtmodelle als Alleinstellungsmerkmal nennen und im Personalmarketing damit nach draußen gehen, sollten das nur tun, wenn sie WIRKLICH flexible Arbeitszeitmodelle zu bieten haben. Flexible Arbeitszeiten in die Stellenausschreibung zu schreiben und dann nur die übliche Gleitzeit zu bieten, wirkt eher peinlich. 37 verschiedene Arbeitszeitmodelle zu beschwören, die aber letztendlich nur Augenwischerei sind, schafft auch nicht gerade Vertrauen beim Bewerber und Mitarbeiter.

Was ist denn nun wirklich ein neues und flexibles Arbeitszeitmodell im Sozial- und Gesundheitswesen? Krankenpflege-Bloggerin Svenja beispielsweise hat beim Praktikum in Wien die 12-Stunden-Schichten kennengelernt. Klingt erstmal heftig, aber wenn man dadurch nur drei Tage die Woche arbeiten muss und vier Tage frei hat, sieht die Sache schon ganz anders aus! Lest im Folgenden, was Svenja davon hält.

Erfahrungsbericht aus Österreich: 12-Stunden-Schichten

“Die nächste Überraschung wartete dann auf mich, als wir uns hinsetzten, um meinen Dienstplan zu schreiben (alleine die Tatsache, dass ich mitbestimmen konnte, wie mein Dienstplan aussieht, fand ich schon toll, da [in meiner Heimateinrichtung] die Stationsleitung den Plan schreibt und man diesen als Schüler per Telefon erfragt, bevor man auf die neue Station kommt)… die Schwestern in Österreich arbeiten in 12-Stunden-Schichten! Mir wurde freigstellt, ob ich dies auch tun möchte, oder ob ich lieber bei meinen gewohnten, deutschen 8 Stunden bleibe. Da ich aber einen Auslandseinsatz mache, um die Gepflogenheiten in der Ferne kennenzulernen ließ ich mich natürlich auf das 12-Stunden-Abenteuer ein.

Mittlerweile, nach 6 Wochen ausprobieren, finde ich dieses System sogar besser, als das Deutsche. In Österreich gibt es dadurch eben nur den „Tag-“ bzw. den „Nachtdienst“ und nicht wie bei uns „Früh-„, „Spät-„ und „Nachtdienst“ (und dazu noch etliche Zwischendienste, um die Übergänge von „Spät“ zu „Früh“ arbeiterfreundlich zu gewährleisten). Man hat seinen Wochensoll an Stunden mit drei Arbeitstagen abgedeckt, wodurch man vier Tage in der Woche frei hat, die man effektiv nutzen kann. Ich hatte wirklich das Gefühl ständig frei zu haben und total wenig zu arbeiten, obwohl meine Gesamtstundenanzahl genauso viel war, wie in sechs Wochen Einsätzen im deutschen Krankenhaus.”

7 Tage arbeiten, 7 Tage frei: Ein Experiment

Die Agaplesion Bethanien Diakonie führt in ihrem neuen Pflegeheim in Hamburg ein ganz anders System ein: Die Mitarbeiter werden im Wechsel 7 Tage arbeiten und 7 Tage frei haben. Ich habe mit Andreas Wolff, Leiter der Unternehmenskommunikation bei der Agaplesion Bethanien Diakonie, gesprochen.

[WERBUNG] Flexible Arbeitszeiten in den Sozial- und Pflegeberufen sind eine Herausforderung. Schließlich funktioniert die Übergabe nicht, wenn Pflegekräfte Gleitzeit machen, und Erzieher müssen mit festen und immer mehr ausgeweiteten Arbeitszeiten dafür sorgen, dass Mitarbeiter*innen anderer Branchen flexible Arbeitszeiten leben können. Doch trotzdem, nicht erst mit der Generation Y wird auch in unserer Branche der Ruf nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer lauter. Wir müssen uns was einfallen lassen. Eine Inspiration kann Ulrike Hellerts Fachratgeber “Arbeitszeitmodelle der Zukunft” (Haufe Verlag, 2018; Amazon Affiliate Link) sein.

Wie genau funktioniert dieses neue Arbeitszeitmodell bei Ihnen?

Die Flexibilität errechnet sich bei uns nicht aus Tagesarbeitszeiten, sondern Flexibilität bedeutet bei uns: Planungssicherheit. Ich arbeite eine Woche und habe dann eine Woche frei. Der Dienstplan steht für 12 Monate im Voraus! Ich weiß dann schon im Januar, dass ich die zweite Mai-Woche frei haben werde. Das ist doch Klasse! Die Krux in normalen Pflegeheimen ist: Eigentlich haben Sie heute einen freien Tag, doch dann fällt ein Kollege aus, Sie werden angerufen und müssen doch zum Dienst. Damit muss man schon fast rechnen, und bei den Kollegen entsteht ein emotionaler Druck. Den wollen wir abschaffen.

Die Idee ist, dass es für jede Wohngruppe ein Team aus acht bis zehn Mitarbeitern gibt. Innerhalb dieses Teams sind die Mitarbeiter auf feste Wochen aufgeteilt. Wird dann jemand krank, können das die anderen Mitarbeiter abfangen. Außer natürlich, es geht der Norovirus um, dann kann es in Ausnahmefällen schonmal sein, dass wir auch jemanden aus der anderen Woche anrufen müssen.

Die tägliche Arbeitszeit geht von 7.45 bis 20 Uhr. Von diesen zwölfeinviertel Stunden hat der Mitarbeiter 45 Minuten Pause und 90 Minuten Bereitschaftsdienst, in denen er zum Beispiel einkaufen gehen kann, aber telefonisch erreichbar sein und einspringen muss, wenn es brennt. Für diese Freizeit bekommt er insgesamt eine Stunde Arbeitszeit angerechnet. Das heißt, ich arbeite 10 Stunden am Tag, bekomme aber 11 bezahlt. Insgesamt komme ich bei einem Vollzeitjob auf 38,5 Wochenstunden.

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Arbeitszeitmodell einzuführen?

Unser stellvertretender Geschäftsführer hatte davon gehört. Dadurch, dass die Idee von ganz oben kam, gab es auch keine Diskussionen bei der Umsetzung. Es gibt in Deutschland zwei oder drei Pflegeheime, in denen dieses Modell praktiziert wird und in denen es bei den Mitarbeitern gut ankommt. Nun eröffnen wir ein neues Pflegeheim in Hamburg, wo das Pflegepersonal knapp ist. Wir brauchten also ein wirksames Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir an die Bewerber herantreten können.

Ein tolles Arbeitsklima zu versprechen, bringt nichts, das kann ja keiner beweisen. Das Arbeitszeitmodell ist aufmerksamkeitsstark und polarisiert – wie alle neuen Schichtmodelle am Anfang. Die Bewerber finden es entweder toll oder nicht. Es gibt einen guten Werbeslogan her: 2 Wochen arbeiten, 4 Wochen bezahlt bekommen! Und wir sind das einzige Pflegeheim in Hamburg, das so arbeitet. Wir bieten auch Jobsharing an: Zwei Mitarbeiter können sich eine Vollzeitstelle teilen. Der eine kommt von 7.45 bis 13.30, der andere von 13.30 bis 20.00 Uhr.

Wie ist das erste Feedback auf die neuen Schichtmodelle?

Unser neues Heim eröffnet am 1.8.15. Wir haben unser Personal rekrutiert und sind startklar. Diejenigen, die sich dafür entschieden haben, bei uns zu arbeiten, geben positives Feedback. Besonders die Planungssicherheit überzeugt die Mitarbeiter. Es gibt natürlich bestimmte Lebenssituationen, für die dieses Arbeitszeitmodell nicht passt. Zum Beispiel für Alleinerziehende. Nach einem halben Jahr werden wir das Arbeitszeitmodell mit der Haus- und der Pflegedienstleitung auswerten. Es wird auch einen Mitarbeiterfragebogen geben. Dann werden wir sehen, ob es funktioniert, oder ob wir in Sachen Schichtmodelle nachjustieren müssen.

Klicke hier für weiter Blogartikel zum Thema:

Arbeitszeitmodelle | Digitale Dienstplanung

Zum Beispiel:

 

Hol dir den Personaler-Newsletter "Recruiting to go"!

Deine Daten werden nur für die Bereitstellung des Newsletters genutzt. Die Datenverarbeitung erfolgt bei Mailchimp, USA. Du kannst Deine Einwilligungen jederzeit per Abmeldelink widerrufen. Datenschutz / Newsletter