Im zweiten Blogartikel zum HR Barcamp 2023 geht es um die 4-Tage-Woche. In einer Session hat die F&P GmbH ihren Ansatz inclusive spannender Learnings vorgestellt. Und Teilnehmer*innen aus anderen Unternehmen haben ihre Erfahrungen ergänzt. Macht die 4-Tage-Woche eher Sinn als innovatives Arbeitszeitmodell oder als neuer Standard im Arbeitszeitgesetz? Ist sie eher ein Instrument für das Recruiting oder für die Mitarbeiterbindung? Verstanden habe ich nun auch, wo die Skepsis mancher Mitarbeitender gegenüber einem Konzept herkommt, das doch eigentlich rundherum super klingt.

Mit einem weinenden und einem lachenden Auge betrete ich die neue Location des HR Barcamp 2023. Die Fabrik 23 in der Gerichtsstraße im Wedding ist definitiv so cool, dass man sie sofort selbst für seine nächste Veranstaltung buchen möchte. Aber wenn man weiß, dass in den heutigen Event-Räumen vor der Pandemie Ateliers und das wunderschöne Tangoloft Berlin beherbergt waren, wird man wehmütig. Und mal wieder sauer auf die Gentrifizierung, die uns das echte Berlin kaputtmacht. Aber darum soll es ja hier nicht gehen.

Das Session-Thema „4-Tage-Woche“ interessiert mich deshalb besonders, weil mein Arbeitgeber, die DRK Kliniken Berlin, in den aktuellen Tarifverhandlungen neben Inflationsausgleichsprämien ein Modellprojekt „35-Stunden-Woche für die Pflege“ in den Ring geworfen hat. Auf den ersten Blick habe ich nicht verstanden, warum es dazu auch skeptische Reaktionen gibt. Was gibt es daran doof zu finden, wenn man bei gleichem Gehalt weniger arbeiten muss? Nach dem HR Barcamp 2023 bin ich schlauer.

Große Vielfalt und noch größere Unklarheit

Denn in der Session stellt sich heraus, dass großes Unklarheit darüber herrscht, was eine 4-Tage-Woche überhaupt ist. Gerade Teilnehmer*innen aus der Generation Z erzählen überschwänglich von ihren Teilzeitjobs. Es ist ja bekannt (und nicht nur ein Klischee), dass der Nachwuchs mehr Wert auf Freizeit bzw. Life-Work-Balance (in dieser Reihenfolge) legt. Und so haben sich viele junge Leute für eine Beschäftigung von Montag bis Donnerstag, aber eben auch mit einem Teilzeitgehalt entschieden. Das ist allerdings nicht das, was derzeit unter dem Schlagwort 4-Tage-Woche eifrig diskutiert wird. Auch ein Arbeitszeitmodell, bei dem ein*e Mitarbeiter*in freiwillig und unter Berufung auf die Gleitzeitregelung lieber viermal 10 Stunden als fünfmal 8 Stunden pro Woche arbeitet, fällt nicht unter diesen Titel.

Die Unklarheit bei den Arbeitnehmer*innen entsteht dadurch, dass nicht einfach die gesetzliche Arbeitszeit für alle unter dem Motto „Arbeitsverdichtung macht mehr Erholung notwendig“ reduziert wird. So wie einst auch im Zuge der Industrialisierung hohe Arbeitszeiten infrage gestellt und schließlich per Gesetz gedrosselt und limitiert wurden. Stattdessen kann sich im Moment jedes Unternehmen selbst ausdenken, was es unter einer 4-Tage-Woche versteht. Doch wie soll die arbeitende Bevölkerung das Konzept verstehen und sich dazu eine Meinung bilden, wenn es tausend verschiedene Varianten, einige faule Kompromisse und dann noch Missverständnisse gibt?

Innovative Arbeitszeitmodelle als super Argument im Personalmarketing

Es ist furchtbar schade, dass das alles so konfus ist. Denn eigentlich sind innovative Arbeitszeitmodelle ein super Argument im Personalmarketing. Gerade in einer sonst so starren Branche wie der Pflege kann man sich damit wunderbar von der Konkurrenz abheben. Stellenanzeigen, die schon im Titel mit der 4-Tage-Woche werben, stechen bei Google Jobs ins Auge. Bei der F&P GmbH wurde schon gleich die Verkündung der Geschäftsführung, dass eine 4-Tage-Woche eingeführt werden soll, auf Video aufgezeichnet. Um damit in den sozialen Netzwerken für das Unternehmen zu werben. Der Artikel „7 Tage arbeiten, 7 Tage frei: Flexible Arbeitszeitmodelle oder Schichtmodelle als Alleinstellungsmerkmal“ ist hier in meinem Blog bereits seit Jahren einer der meistgelesenen Texte.

Doch in manchen Unternehmen gilt die 4-Tage-Woche nur für bestimmte Berufsgruppen. Das ruft Neid und Missgunst bei den anderen hervor. In anderen (Klinikum Bielefeld) müssen die Mitarbeitenden dieselbe Anzahl von Stunden wie vorher arbeiten. Nur eben auf 4 Tage statt auf 5 Tage verteilt. Ein solches Modell, so die Barcamper*innen, nehmen die Kolleg*innen im Unternehmen ihrer Erfahrung nach meist nicht gut an. Denn es macht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie praktisch unmöglich. Manch schöne Errungenschaft der flexiblen Arbeitszeit wie die Gleitzeit sind bei einem 10-Stunden-Tag nicht mehr möglich. Weil man ja mit Büroarbeitenden nicht plötzlich in die Nachtschicht incl. Zulagen hineingeraten will.

Lauter Varianten und Kompromisse

Auch bei 10-stündigen Arbeitstagen in der 4-Tage-Woche flattern manchmal dringende Aufgaben noch kurz vor Feierabend rein. Dadurch besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende dazu animiert werden, sich auszustempeln, damit das Unternehmen nicht gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt, und trotzdem weiterzuarbeiten. HR Barcamp 2023-Teilnehmer*innen berichteten offen, dass der oder die Chef*in erwarten würde, dass man länger bliebe.

Dann ist da noch das Konzept, die 4-Tage-Woche als saisonales Modell anzubieten. In den geschäftsschwachen Monaten wie z.B. im Sommerloch, das es in manchen Branchen gibt, wird weniger gearbeitet. Zum Weihnachtsgeschäft dann eben mehr. Umgekehrt können Outdoor-Branchen im Sommer ranklotzen. Und im Winter einen Tag länger pro Woche die Beine hochlegen.

Andere Teilnehmer*innen beim HR Barcamp 2023 berichteten von ihren modernen Unternehmen, die im Zuge einer New Work-Umgebung ihren Teams selbst überlassen, die Arbeitszeit zu bestimmen. Solange die gestellten Aufgaben erledigt werden, kann sich jede*r selber überlegen, wieviel Zeit er oder sie dafür braucht. Teilweise kann man ohne Zustimmung des Vorgesetzten und so oft man will die Arbeitszeit reduzieren und aufstocken.

Kann die Generation Z mit flexiblen Arbeitszeitmodellen umgehen?

Das brachte allerdings einige Probleme mit sich. Abgesehen davon, dass es im Arbeitsalltag ja nicht nur darum geht, Aufgaben zu erledigen, sondern auch um Austausch, Innovation & Co., führten die ständigen Änderungen der Arbeitszeit zu Instabilität im Team und Mehrarbeit in der Personalabteilung, wo ständig neue Verträge geschrieben werden mussten. „Och, ich will nicht mehr so viel arbeiten, dann reduziere ich mal um fünf Stunden.“ „Och, jetzt ist mir das Gehalt doch zu wenig, zwei Stunden mehr werde ich wohl hinkriegen…“ Am Ende musste es dann doch gewisse Regeln geben. Z.B. eine maximale Anzahl von Arbeitszeitänderungen pro Jahr.

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Wenn man laut sagt, dass Berufseinsteiger*innen sich Privilegien wie die beschriebene total flexible Selbstbestimmung bei den Arbeitszeiten oder Sabbaticals eigentlich erst verdienen müssen, wird man schnell als Dinosaurier abgestempelt. Ich habe allerdings selbst mehrfach die Erfahrung in meinem Team gemacht, dass man sich noch so viel Mühe geben kann, der Generation Z alle Wünsche zu erfüllen und vollstes Verständnis entgegenzubringen, und trotzdem nicht mit Dankbarkeit und Mitarbeiterbindung belohnt wird. Darum bin ich wieder etwas strenger geworden. Als Chef*in wie als Elternteil kann man nunmal nicht beste*r Freund*in des Nachwuchses sein.

In der Erziehungswissenschaft ist es Konsens, dass man Kleinkindern nur in begrenztem Maße Optionen vorlegen und Entscheidungen zutrauen kann, da sie überhaupt erst lernen müssen, damit umzugehen. Dasselbe gilt möglicherweise für Berufseinsteiger*innen. Sie sind in Bezug auf ein Arbeitsleben in der „Kleinkindphase“ und müssen sich erstmal einfinden, die gängigen Regeln der Arbeitswelt kennenlernen und erleben, ihre eigene Life-Work-Balance sortieren und dazu Rahmenbedingungen gesetzt bekommen, bevor sie verantwortungsvoll mit gewissen Freiheiten umgehen können.

Die echte 4-Tage-Woche für alle

Persönlich denke ich daher, dass die 4-Tage-Woche nicht vorrangig als Instrument des Recruitings oder der Mitarbeiterbindung ihre Berechtigung hat. Sie ist einfach als sinnvolle Neuregelung der Arbeitszeit für ALLE dringend an der Reihe. Es sollte auch keine tausend verschiedenen Varianten davon geben, sondern einfach ein allgemeingültiges Gesetz. An einem Punkt, an dem der Gesellschaft so langsam klargeworden ist, dass Leistung und ständiges Wachstum nicht das Maß aller Dinge sein und nicht endlos weitergehen können, an dem die Pandemie uns gezeigt hat, dass es unkontrollierbare Entwicklungen gibt, für die wir uns psychisch und körperlich auch rüsten müssen, und an dem die zunehmenden Burnout-Zahlen erkennen lassen, dass das, was wir heute unter Arbeit verstehen, flächendeckend ungesund ist, muss sich einfach etwas ändern.

Beim HR Barcamp 2023 stellte die F&P GmbH, besser bekannt als Betreiber der Erotikcommunity JOYclub, nun also ihre „echte“ 4-Tage-Woche vor, die ein Vorbild für ein solches Gesetz sein kann. Alle Mitarbeitenden des Unternehmens müssen seit einem bestimmten Stichtag nur 32 Stunden verteilt auf 4 Tage pro Woche arbeiten und haben drei Tage frei. Das Vollzeitgehalt bleibt dabei gleich. „Es ist ein tolles Gefühl, bereits am Freitag Mittag alles erledigt zu haben, was man neben der Arbeit noch so zu erledigen hat, und zu wissen: Jetzt fängt das Wochenende wirklich an!“, so die Vertreterinnen des Unternehmens in der entsprechenden Session.

Funktioniert die 4-Tage-Woche im Schichtsystem?

Das Argument, im 3-Schicht-System sei ein solches Arbeitszeitmodell nicht möglich, entkräftet die F&P GmbH auch gleich. Denn der Kundenservice der Erotikcommunity ist gerade nachts und an Wochenenden besonders gefragt und 24/7 besetzt. Auch in diesen Bereichen kann die monatliche Soll-Arbeitszeit um ein Fünftel reduziert werden. Ggf. muss der Dienstplan angepasst und ein neues Schichtsystem erdacht werden, um das Rund-um-die-Uhr-Angebot mit der 4-Tage-Woche in Einklang zu bringen. Auf jeden Fall braucht es mehr Mitarbeitende, um die Schichten zu besetzen. Nun kann man sagen: Aber die gibt es ja eben in der Pflege nicht. Also funktioniert es dort eben doch nicht. Die Befürworter*innen der 4-Tage-Woche erwidern: Die würden schon wiederkommen, wenn sie bei vollem Lohnausgleich längere Erholungszeiten hätten.

Die Learnings von F&P, so wie sie beim HR Barcamp 2023 vorgestellt wurden, sind wirklich eindrücklich. Exklusiv für Recruiting2Go Abonnent*innen werde ich sie im Folgenden ausführlicher beschreiben. Hier aber schonmal eine kurze Übersicht:

  1. Binde die Mitarbeitenden so früh wie möglich in die Vorbereitungen ein
  2. Starte unbedingt zum 1. Januar mit der 4-Tage-Woche
  3. Überlege Dir rechtzeitig, wie Du mit Teilzeitkräften umgehen willst
  4. Rechne auch mit negativen Effekten und halte durch
  5. Führe die 4-Tage-Woche nicht nur als befristetes Projekt ein
  6. Überlege Dir genau, welchen Tag Du zusätzlich frei gibst
  7. Überdenke Deinen gesamten Businessplan: Wie können Wirtschaftlichkeit und 4-Tage-Woche zusammenkommen?

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Bitte nicht im luftleeren Raum

Großes Fazit beim HR Barcamp 2023: Die 4-Tage-Woche darf nicht im luftleeren Raum entstehen. Erfolgreich kann sie nur in einem Unternehmenskontext sein, in dem Mitarbeiterbindung, moderne Arbeitswelten etc. auch ansonsten großgeschrieben werden. Bei der F&P GmbH gibt es z.B. Verantwortliche für Feelgood Management, People Management und Culture Management, die für eine gute Arbeitsatmosphäre sorgen – ob mit oder ohne 4-Tage-Woche. Und das sind dann auch genau diejenigen, die bei der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle dafür sorgen, dass alle mitgenommen werden.

Eine erfolgreich Einführung bedeutet dennoch nicht, dass nun niemand mehr das Unternehmen freiwillig verlässt, nur weil es die 4-Tage-Woche anbietet. Kündigungen gibt es trotzdem. Auf der positiven Seite resümierte das Unternehmen, dass man die „Umstellungsschmerzen“ vergleichsweise schnell überwunden habe. Ein Jahr nach der Einführung der 4-Tage-Woche sei die Mitarbeiterzufriedenheit bzgl. dieses Themas ungebrochen. Viele hätten ihre Lebens- oder Ehepartner*innen als neue Kolleg*innen angeworben, um als gesamte Familie von dem Modell 4-Tage-Woche zu profitieren.

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HR Barcamp

Zum Beispiel:

Bild von Alloma Davidova auf Pixabay.

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