Das Karriereportal der DRK Kliniken Berlin hat jetzt einen Recruiting ChatBot. Braucht man sowas? Oder ist diese Technik in Zeiten Künstlicher Intelligenz nicht schon eigentlich wieder veraltet?
Recruiting Experte und Blogger Henner Knabenreich vergibt in seinem Buch „Karrierewebseiten mit Wow-Effekt“ (Affiliate Link) Pluspunkte, wenn ein Karriereportal einen ChatBot hat. Die Nachwuchs BWLlerin Marie Dürbusch schreibt dagegen in ihrer Bachelorarbeit, dass sie nicht verstehe, warum ChatBots auf Karriereportalen so toll sein sollen: „Für eher unwichtig halte ich zusätzliche Funktionalitäten wie ChatBots, Live-Chats oder Matching-Tools. Klar können sie, wenn gut gestaltet, hilfreich sein und die Aufmerksamkeit des Besuchers fesseln. Aber sie bieten im Vergleich zum Aufwand nur sehr wenig Mehrwert.“ Die Generation Z lege darauf keinen Wert, so Dürbusch.
Was ist denn nun richtig? Sind ChatBots nur etwas für die Zielgruppe 40+? So wie Facebook inzwischen? Oder kann es gelingen, sie wieder für Bewerber jeder Altersgruppe interessant zu machen und einen echten Mehrwert zu bieten?
ChatBot oder Digitaler Assistent?
Unsere Agentur Webfox, mit der wir das Projekt umgesetzt haben, nennt den ChatBot lieber Digitalen Recruiting Assistenten. Weil das Wort ChatBot eben diesen faden Beigeschmack hat. Es gibt so viele schlechte ChatBots auf der Welt, dass Kunden oder Bewerber oft nur noch müde lächeln, wenn sie einen solchen auf einer Webseite entdecken. Die Zeiten sind vorbei, in denen das Interesse allein dadurch geweckt werden konnte, dass man irgendwo herumklicken kann.
Ich habe selbst neulich aggressive Anfälle bekommen, nachdem ich mit dem H & M ChatBot kommuniziert hatte. Er empfahl mir tausend völlig unpassende Kleidungsstücke, weigerte sich aber penetrant, meine Idee für eine Optimierung des Damenunterwäscheangebots (Ähöm, ich hab halt zu jedem Thema was zu sagen ;-)) an irgendjemanden weiterzugeben, der für Kundenfeedback zuständig ist und es vielleicht sogar ernst nimmt.
Nicht bloß dasselbe in Grün
Natürlich soll der Begriff Digitaler Assistent nicht nur ein Euphemismus sein, also ein neues, schöner klingendes Wort für „dasselbe in Grün“ (wie etwa Facility Manager statt Hausmeister). Für die DRK Kliniken Berlin habe ich mir vorgenommen, mich mit dem ChatBot technisch wie inhaltlich von anderen abzuheben.
Wie baut man aber nun einen guten ChatBot? Nun, wie bei allen Themen im Recruitment ist mein wichtigster Tipp: Mitdenken! Verlasst euch nicht auf den Anbieter, der euch die Technik zur Verfügung stellt (mehr zur technischen Basis eines ChatBots unten). Die Technik macht den guten ChatBot nur maximal zur Hälfte aus, der andere, wenn nicht sogar größere Erfolgsfaktor ist die Konzeption des Chatverlaufs. Usability ist ganz, ganz wichtig. Versetzt euch in euren Kunden oder Bewerber hinein!
Natürlich haben die Anbieter auch Erfahrung mit der Konzeption von Chatverläufen. Aber sie kennen euer Unternehmen nicht. Sie wissen nicht, wie ihr sonst so mit Bewerbern redet oder in den sozialen Netzwerken kommuniziert. Welche Ansprechhaltung habt ihr, welche Logik liegt hinter der Nutzerführung? Einen ChatBot, der wirklich zum Unternehmen und seiner Personalmarketing- und Öffentlichkeitsarbeitsstrategie passt, müsst ihr schon selbst texten – das ist meine Meinung.
Nachbesserungsbedarf: Wenn der Chat mit dem Bot keinen Spaß macht
Welche Aspekte an einem ChatBot lassen beim Nutzer eher Frust als Lust beispielsweise auf eine Bewerbung entstehen?
- Die Einbindung des ChatBots auf der Website, die er unterstützen soll, ist langweilig. Meist gibt es unten rechts auf der Website eine kleine Sprechblase, auf die man klicken kann. Manchmal gibt’s eine Grafik, auf der steht „Zum ChatBot“ oder „ChatBot starten“. Sehr unpersönlich. Dann kann ich auch weiter auf der Website die Infos lesen.
- Schon die erste Nachricht, die Begrüßungsnachricht, ist langweilig und lässt erkennen, dass man genauso ein müdes Exemplar wie viele andere vor sich hat (Beispiel: „Herzlich Willkommen auf unserem Karriereportal“)
- Die Ansprechhaltung im ChatBot passt nicht zum Rest der Website (zum Beispiel wird auf der Website gesiezt, im Bot geduzt)
- Der ChatBot ist zu sachlich, die Sprache zu behördenmäßig. Wichtig sind dabei nicht nur die Texte, sondern auch die Beschriftungen der Buttons/Schaltknöpfe (Beispiel für eine langweilige Button Beschriftung: „Themenübersicht“)
- Der ChatBot bleibt absenderorientiert, das heißt, es geht immer nur darum: Welche Informationen können wir noch irgendwo ausgraben und auf die Nutzer loslassen? Stell dir einen Freund vor, der dir im Chat die ganze Zeit nur von sich erzählt, das nervt dich doch auch irgendwann.
Weitere negative Aspekte Digitaler Assistenten
- Im ChatBot gibt es Tippfehler oder Grammatikfehler. Das kann passieren. Das redaktionelle Anlegen ist komplex, da kann man schonmal an der einen oder anderen Stelle etwas übersehen. Umso wichtiger, den ChatBot von unbeteiligten Dritten auf Herz und Nieren durchtesten zu lassen.
- Zu schnelles Ablauftempo der Nachrichten: Die Nachrichten ploppen so schnell hintereinander auf, dass man sie gar nicht richtig lesen kann. Manchmal liegt das an einer ungünstigen Einstellung in der Software, manchmal an zu langen Nachrichtentexten, die das Auge nicht auf einen Blick wahrnehmen kann.
- Das Chatkonzept ist linear oder unendlich: Ein Chatkonzept basiert auf mosaikmäßig aneinandergefügten Chat-Schnipseln, durch die sich der Nutzer auf individuellen Wegen hindurch bewegen kann. Es ist idealerweise kein linearer Verlauf, also kein Chat, der für jeden gleich abläuft. Denn dann wäre es ja langweilig und man würde den Bot höchstens einmal nutzen. Durch das Mosaik ergibt sich die Möglichkeit, verschiedene Wege zu nehmen, aber auch wiederholt an einer Stelle im Chat zu landen, an der man schonmal war. Das ist nicht weiter schlimm, solange der Kreislauf nicht unendlich ist oder irgendwo abrupt endet, ohne dass der Nutzer verabschiedet wird oder die Möglichkeit hat, zum Start zurückzukehren. Irgendwo muss Schluss sein. Manche Nutzer brauchen das Gefühl, einmal alles durchgesehen zu haben.
So macht ein Digitaler Assistent Spaß
Was sollte im Vergleich dazu ein guter ChatBot können?
- Von Anfang an, gleich in der ersten Nachricht, zeigen, dass er anders ist (Wir texten: „Hallo! Schön, dass Du in unserem Karriereportal gelandet bist!“ und ergänzen drei klatschende Emojis)
- Eine eigene Tonalität entwickeln, die idealerweise zu der Ansprechhaltung passt, die das Recruiting Team auch im direkten Kontakt mit Bewerbern pflegt. Bei uns bedeutet das: duzen, den Bewerber im Text häufig direkt ansprechen, locker und aus dem Bauch heraus schreiben.
- Emotional sein: Damit der Nutzer das Gefühl hat, einen echten Chat zu führen (auch wenn er natürlich weiß, dass das nicht stimmt), sollte der Chat so aufgebaut sein wie ein Chat, den man mit seinen Freunden führt. Wir arbeiten mit vielen Emojis, Videos, Fotos, Gifs.
- Der ChatBot ist nutzerorientiert, und zwar nicht nur, indem er den Nutzern verschiedene Buttons zum Anklicken bietet, sondern indem er stets aus Sicht des Nutzers formuliert. (Beispiel aktive Buttonbeschriftung: „Wie kann ich mich bewerben?“ statt „Infos zur Bewerbung“)
Weitere positive Aspekte
- Witzige, unerwartete Zugänge zu ernsten, sachlichen Themen. Als Zugang zu unserer Standortsuche haben wir zum Beispiel ein Mini Quiz gewählt. „Welcher Typ bist du?“, wird der Nutzer gefragt. Künstlerisch veranlagten Personen wird unser Kunstkrankenhaus mit vielen Skulpturen auf einem denkmalgeschützten Gelände vorgeschlagen. Entspannten Typen unser Krankenhaus im Grünen am See. Das macht zwar nicht wirklich Sinn, weil es viel wichtiger ist, ob der Nutzer in der Nähe der Krankenhäuser wohnt als ob er gerne chillt. Aber das klären wir dann einfach kurze Zeit später. Kleine Fragebögen sind jedenfalls immer gut. Oder schlagfertige Formulierungen wie „Du hast es so gewollt: Wir machen jetzt eine Tour durch unsere Standorte“.
- Der ChatBot hat ein klares Conversion-Ziel. Er dient nicht nur der Unterhaltung oder als Spielerei. Ein Ziel kann sein, das Recruiting Team von Anfragen zu entlasten. Dann geht es darum, die häufigsten Bewerberfragen so elegant wie möglich durch den ChatBot beantworten zu lassen, ohne dass der Bewerber lange FAQs lesen muss. Wir binden FAQ Videos in den Digitalen Assistenten ein. Ein anderes Ziel könnte sein, Bewerbungen über den ChatBot zu generieren. Dann muss geschaut werden, dass man sich nicht irgendwo technisch verhaspelt, weil ein Onlinebewerbungsformular im iframe im ChatBot nicht bedienbar ist.
Die passende ChatBot Software auswählen
Wichtig ist natürlich auch, für welche ChatBot Technik man sich entscheidet. Es gibt viele verschiedene Anbieter. Hier mal nur eine kleine Auswahl:
- Chatbottery (Dafür haben wir uns auf Empfehlung unserer Agentur Webfox entschieden.)
- Zendesk
- Solvemate
- Hubspot
- Unymira
- Bold360
- Onlim
Im Folgenden einige Punkte, die es bei der Auswahl der ChatBot Technik zu beachten gilt.
Das Redaktionssystem
Wie einfach ist das Redaktionssystem zu bedienen? Wie fit sind die Mitarbeitenden, die den Digitalen Assistenten betreuen sollen, in der Bedienung von Redaktionssystemen, was kann man ihnen zumuten? Das Redaktionssystem unserer Technik Chatbottery ist für Anfänger noch nicht ganz so intuitiv zu bedienen, wird aber derzeit überarbeitet und soll vereinfacht werden. Für mich ist es kein Problem, weil ich schon in vielen Redaktionssystemen gearbeitet habe und es dabei immer Anwendungsfälle gab, wo man HTML einsetzen musste. Bei Chatbottery muss man einfache Programmierbefehle benutzen. Das sieht dann ungefähr so aus:
<msg>Antonia und Lydia haben bei uns eine Ausbildung gemacht und Christoph hat sie unterrichtet.</msg>
<msg>Wen möchtest Du kennenlernen?</msg>
<carousel>
<item img=”https://live-cms-karriere.drk-kliniken-berlin.uvensys.net/wp-content/uploads/2020/11/Antonia.jpg”>
<title>Antonia</title>
<text>Auszubildende</text>
<btn>[[Video ansehen|Videosnippet Antonia Ausbildung]]</act>
</item>
<item img=”https://live-cms-karriere.drk-kliniken-berlin.uvensys.net/wp-content/uploads/2020/06/Christoph.png”>
<title>Christoph</title>
<text>Lehrer für Pflegeberufe</text>
<btn>[[Video ansehen|Videosnippet Christoph Ausbildung]]</btn>
</item>
</carousel>
Das ist alles kein Hexenwerk. Es sind nur wenige Befehle zu kennen, zum Beispiel:
- <msg></msg> für Anfang und Ende einer Sprechblase
- <btn></btn> für einen Button, der nach dem Anklicken stehen bleibt
- <act></act> für einen Button, der nach dem Anklicken verschwindet
Per Copy & Paste lässt sich viel übernehmen. Doch für jemanden, der noch gar keine Erfahrung mit HTML hat, könnte es anfangs abschreckend sein. Zumal beim Copy & Pasten auch leicht Fehler entstehen, die man dann mühsam suchen muss. Ein kleiner Backslash zu viel – und schon ist das ganze Layout zerschossen.
Integration in Social Media Kanäle
Lässt sich die ChatBot Technik in Webseiten und Social Media-Kanäle etc. integrieren? Darius Niroumand, Geschäftsführer unserer Agentur Webfox, erklärt: „Chatbottery lässt sich problemlos in die Website integrieren und legt sich auch darüber, also öffnet nicht in einem neuen Tab, da es sich um reines Java Script handelt. Eine Integration in den Facebook Messenger ist theoretisch auch möglich.“
Kosten und Skalierbarkeit für den ChatBot
Was kostet der ChatBot? Gibt es monatliche Lizenzen, wird nach Nutzern abgerechnet, gibt es eine Installationsgebühr? Die Einrichtung unseres Digitalen Recruiting Assistenten hat ca. 35.000 Euro brutto gekostet. Enthalten sind die initialen Implementierungskosten für die Technik, die wir nicht erneut zahlen müssen, wenn wir den ChatBot in Zukunft auch auf unserer Corporate Website nutzen wollen. Zusätzlich entsteht eine laufende Lizenzgebühr während des Betriebs.
Es gibt wesentlich günstigere Varianten, die sich für kleine Unternehmen und reine Text-Chats sehr gut eignen, doch wir hatten viel individuellen Anpassungsbedarf und wollten vor allem unsere Stellenbörse und die Schnellbewerbung in den Digitalen Assistenten integrieren. Das geht mit den günstigen Standardlösungen nicht.
Aufwändigere Lösungen versprechen mehr Flexibilität
„Chatbottery ist sehr flexibel“, findet Darius Niroumand. „Die Leitidee ist API first. Das bedeutet, der Chatbot ist rein mit JavaScript umgesetzt ermöglicht eine schnelle und problemlose Anbindung externer Systeme, die bereits im Unternehmen eingesetzt werden. Das ist beispielsweise sehr hilfreich um Daten aus externen Quellen (Stellenbörse, Terminbuchungssystem) zu nutzen oder die aus der Kommunikation mit dem Nutzer gewonnen Daten zum Versand einer Bewerbung per E-Mail weiter zu verwenden. Man kauft sich also ein neues Kommunikationsinterface ein, dass die bereits eingesetzten Systeme und Datentöpfe nutzen kann.“
Es macht keinen Sinn, mit einem kleinen, kostengünstigen, unaufwändigen Tool im Recruitment anzufangen, nur um hinterher festzustellen, dass sich der Bot eigentlich auch wunderbar für andere Anwendungsfälle im Unternehmen einsetzen ließe – wenn er doch bloß mehr könnte. Es ist ja häufig so, dass das Recruitment in Sachen Digitalisierung die Vorhut bildet und den Weg für moderne Techniken ins Unternehmen ebnet.
Datensicherheit und Datenauswertbarkeit
Lassen sich die individuellen Chatverläufe der Nutzer auswerten, sodass der ChatBot dazulernen und erweitert werden kann? Wird aber gleichzeitig kein Schindluder mit den Daten getrieben? „Chatbottery ist sicher“, betont Darius Niroumand von unserer Agentur Webfox. „Der Nutzer hat die volle Kontrolle über seine Daten. Der Chatbot läuft rein im Browser und sendet keine Daten an irgendeinen Server. Es sei denn, der User stimmt dem zu in dem er zum Beispiel eine Bewerbung absenden möchte oder im Prozess zu einem Drittsystem weitergeleitet werden möchte.“
Das Thema Auswertung der Daten geht eng einher mit der individuellen Chatkonzeption durch das Unternehmen. Denn die Auswertung soll nicht zu kommerziellen Zwecken erfolgen, sondern um den Digitalen Assistenten ständig weiterzuentwickeln und zu verbessern. Wie jedes Onlineprojekt gilt: Man ist damit nie fertig! „Wir sind fest davon überzeugt, dass jedes Unternehmen seine eigene Sprache in dem ChatBot integrieren muss“, erinnert Darius Niroumand. „Die Inhalte im Chatverlauf müssen textlich und visuell mit den entsprechenden Emotionen aufgeladen werden. Daher wurde bei Chatbottery die Künstliche Intelligenz nicht den ChatBot selbst gelegt, sondern in das dahinterliegende Redaktionssystem. Das bedeutet, der Bot lernt zwar mit, aber nur, um den Redakteur bei der Erstellung der Inhalte zu unterstützen. In dem neuen Editor für Redakteure (voraussichtlich ab Q2/2021) wird es noch mehr solcher Features für den Redakteur geben.“
„War nett, mit dir zu plaudern“: Wenn der ChatBot Tschüß sagt
Wie die Bewerber:innen der DRK Kliniken Berlin den ChatBot annehmen, darüber werde ich hier im Blog natürlich berichten. Vorerst verabschiede ich euch mit dem letzten Mosaiksteinchen des Digitalen Assistenten:
„Du hast keine Zeit mehr, mit uns zu chatten?“
„Kein Problem, war nett, mit Dir zu plaudern.“
„Die Kolleg:innen möchten auch noch Tschüß sagen:“
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