Schon vor 15 Jahren haben ich und andere Recruitingexpert*innen unsere Vorträge zum Thema Personalmarketing mit einem Foto einer Flasche Coca-Cola begonnen. Und gesagt, Bewerber*innen einen Job schmackhaft zu machen, sei dasselbe wie einem Kunden eine Flasche braune Brause zu verkaufen. Beim HR Barcamp 2024 begann die Session zum Thema „Stellenanzeigen in geil“ nun mit einer Amazon-Verkaufsseite für einen Kaffeevollautomaten. Damals wie heute stimmt der Vergleich. Erfolgreiches Personalmarketing orientiert sich am Produktmarketing. Aber da sich die Werbemethoden im eCommerce natürlich weiterentwickelt haben, gibt es immer wieder Neues zu lernen. Ein Veranstaltungsbericht.
Meine persönlichen Empfehlungen für „Stellenanzeigen in geil“ findet ihr in meinen Stellenanzeigen-Mustertexten. Warum sollte man sich darüberhinaus nun also eine Amazon-Produktseite als Vorbild für die Stellenanzeige nehmen? Weil ein eCommerce Händler, der es schafft, sein Produkt organisch (ohne dafür zu bezahlen) an die Spitze der Amazon-Liste zu bringen, etwas sehr richtig macht. Aus Sicht der Zielgruppe und aus Sicht des Algorithmus. Was genau können wir uns von ihm abschauen?
Diese Tipps hat die Sessiongruppe beim HR Barcamp 2024 erarbeitet
- Wichtige Keywords in den Stellentitel packen. Die Annahme, der Stellentitel müsste so kurz wie möglich sein, weil er in den Stellenbörsen oder bei Google abgeschnitten wird, ist dabei übrigens falsch. Denn als Keywords in der H1 sind auch die abgeschnittenen Teile suchmaschinenrelevant. Und Titel, die nur den Produkt- bzw. Jobnamen enthalten („Kaffeemaschine“, „Pflegefachkraft“) regen nicht zum Klicken an. Der Produkttitel des Kaffeevollautomaten ist jedenfalls ausgesprochen lang.
- Wahrheitsgetreue Beschreibung auch mit negativen Aspekten des Produkts bzw. der Stelle (z.B. Schichtdienst). Das Ziel: „Rücksendung“ durch den Kunden (bei der Bewerbung wäre das Ghosting, Abbruch der Probezeit, etc.) zu vermeiden.
- Verschiedene Conversion-Optionen anbieten. Jede Interaktion mit der Produktseite bzw. Stellenanzeige ist ein Erfolg. Nicht nur den Kauf- bzw. Bewerbungsbutton solltet ihr mehrfach an verschiedenen Stellen einbinden. Auch eine kleine Fotoslideshow zum Durchklicken o.ä. können die Interaktion mit der Stellenanzeige verlängern und zur Bewerbung führen.
Kundenbewertungen auf Stellenanzeigen umgemünzt
Eins der wichtigsten Elemente der Amazon-Verkaufsseite, so wurde es beim HR Barcamp 2024 ermittelt, sind natürlich die Kundenbewertungen. Wie lässt sich dieser Erfolgsfaktor auf Stellenanzeigen übertragen? Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ihr könnt ein Kununu-Widget einbinden und die Bewertungen zu eurem Unternehmen auf der Arbeitgeberplattform zur Verfügung stellen. Bitte darauf achten, dass sich Kununu in einem neuen Tab öffnet. Ihr könnt auch (authentische!) Mitarbeiter*innen-Testimonials einbinden. Also kurze Zitate, in denen Mitarbeitende erzählen, warum sie gerne im Unternehmen arbeiten.
Ganz vorne mit dabei wäre man mit einem Karriereportal, in dem Bewerber*innen die Stellenanzeigen mit Sternchen bewerten können. Die beliebtesten Stellenanzeigen würden als erste angezeigt. Am Ende wäre das nicht mehr als ein Gimmick mit wenig Aussagekraft. Aber für die Bewerber*innen eine kleine Spielerei, die sie vielleicht bei der Stange hält. Und für die Abteilungen des Unternehmens ein Ansporn, sich mit ihren Stellenanzeigen Mühe zu geben. Damit sie unter den beliebtesten gerankt werden. Eine andere Idee: eine Favoriten-Funktion, mit der sich Bewerber*innen interessante Jobangebote aus der unternehmenseigenen Stellenbörse mit einem Herzchen markieren können. Um sich dann hinterher alle, die in die engere Wahl kommen, noch einmal in einer Art digitalem „Einkaufskorb“ anzusehen.
Weitere Modernisierungsideen für die Stellenanzeige
Exklusiv für Abonnent*innen habe ich nun noch eine Liste mit weiteren Modernisierungsvorschlägen für die Stellenanzeige zusammengestellt, die beim HR Barcamp 2024 gesammelt wurden.
Ausführliche Tipps exklusiv für Abonnent:innen
Altmodische Haltung bei jungen HRler*innen
Sehr erstaunt war ich über einige altmodische Aussagen manch junger HRler*innen beim HR Barcamp 2024 in Bezug auf Stellenanzeigen. Haben sie das im BWL-Studium so beigebracht bekommen oder plappern sie das den alteingesessenen Sachbearbeiter*innen in der Personalabteilung nach? Hier mal einige Beispiele:
- Die Produktion von begleitenden Medien zur Stellenanzeige (wie Videos) kostet zu viel Zeit, man sollte lieber einfach nur einen Text veröffentlichen, damit es schnell geht.
- In einer Stellenanzeige für eine Führungskraft muss man mehr Fachworte benutzen und seriöser texten als bei einer Stellenanzeige für eine*n Monteur*in.
- Man kann in Stellenanzeigen nicht duzen, wenn im Vorstellungsgespräch bzw. allgemein im Unternehmen gesiezt wird.
- Gehaltsangaben in der Stellenanzeige haben vor allem Nachteile wie z.B. dass Headhunter erfahren, welche Gehälter in bestimmten Berufen üblich sind. Oder dass Ärger im Team entsteht, weil die Mitarbeitenden dadurch erfahren, dass sie unterschiedlich bezahlt werden. Oder dass sich Kandidat*innen erst gar nicht bewerben, weil ihnen die Gehaltsangabe zu niedrig ist. Und sowieso schreibe das kommende Entgelttransparenzgesetz ja gar nicht vor, dass das Gehalt schon in der Stellenanzeige genannt werden muss – warum also in vorauseilendem Gehorsam hier tätig werden?
Meine Meinung: Alles Quatsch
Das ist alles großer Quatsch. Natürlich kann man in Stellenanzeigen duzen und im Vorstellungsgespräch siezen. IKEA und die BVG duzen ja auf ihren Plakaten auch, und trotzdem wird man beim Kauf einer Küche in der Filiale oder beim der Ticketkontrolle in der U-Bahn mit Sie angesprochen. Kund*innen und Bewerber*innen sind das gewohnt und sehr gut in der Lage, zwischen Marketing und Unternehmensrealität zu unterscheiden.
Auf gar keinen Fall sollte man unterschiedliche Herangehensweisen an Stellenanzeigentexte je nach Hierarchiestufe wählen. Erstens ist das diskriminierend. Der Monteur ist jemand, den man duzen darf und in Leichter Sprache ansprechen muss, weil er zu dumm ist, um die Stellenanzeige sonst zu verstehen? Und vor der Abteilungsleiterin muss man kuschen und gebildet tun, damit sie das Unternehmen ernst nimmt? Na, das lässt ja tief blicken.
Marketingmethoden wirken auch bei Führungskräften
Eine Arbeitgebermarke lässt sich jedenfalls nicht etablieren, wenn man keine einheitliche Ansprechhaltung festlegt und konsequent durchzieht. Und nicht zuletzt sind Führungskräfte auch nur Menschen. Auch bei ihnen wirken Marketingmethoden wie persönlichere Stellenanzeigentexte. Im Übrigen kann man auch in Sie-Form locker, emotional und anschaulich formulieren und locker, emotional und anschaulich ist nicht gleich unseriös.
Und was die Mediaproduktionen angeht, die müssen nicht aufwändig sein. Erstens kann man ja die Stellenanzeige in reiner Textform vorab schonmal online stellen und den Video- oder Audioclip nachträglich noch einbinden, wenn er fertig produziert ist. Beziehungsweise ihn dann nutzen, um die Stellenanzeige in Social Media zu bewerben. Zweitens sollen das ja keine 3-Minuten-Kurzfilme werden. Ein 30-Sekunden-Reel, in dem ein*e Kolleg*in ein paar nette Worte zur*zum Bewerber*in sagt, ist mit dem Handy wirklich schnell gemacht und eine schöne Ergänzung zum trockenen Stellenanzeigentext. Und je mehr man davon produziert, umso größer wird das Archiv an passenden Mediafiles, die man bei Bedarf erneut einsetzen kann.
Das liebe Gehalt
Und dann das liebe Gehalt. Die Vorteile einer Gehaltsangabe in der Stellenanzeige überwiegen deutlich die Nachteile. Bewerber*innen lieben Stellenanzeigen mit Gehaltsangaben und Suchmaschinen tun das auch! Gehaltsangaben wirken modern und international (denn in anderen Ländern sind sie schon verpflichtend). Gehaltsangaben wirken sich selbst dann positiv auf die Bewerberzahlen aus, wenn man nicht die höchsten Gehälter im regionalen Branchenvergleich zahlt, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
Letztendlich geht es darum, mit der Gehaltsangabe zu signalisieren, dass das Unternehmen nichts zu verstecken hat. Wie zum Beispiel ungleiche Bezahlung im Team. Die darf es gar nicht erst geben (außer in einem kleinen Rahmen bei längerer Betriebszugehörigkeit wie es in Tarifverträgen vorgesehen ist). Wer monetäre Anreize setzen will, um mehr Leistung aus seinen Mitarbeitenden herauszuholen, der kann das mit Prämienzahlungen tun. Wer sich vorbehalten möchte, besonders gut qualifizierten Kandidat*innen ein höheres Gehalt zu zahlen, kann genau das in einem Halbsatz hinter der Gehaltsangabe ergänzen.
Sirtaki und weitere Sessions
Nachdem wir nun also wussten, was geile Stellenanzeigen sind, gab es neben einer kleinen Sirtaki-Probetanzstunde beim HR Barcamp 2024 auch Sessions zu Themen wie:
- Teambuilding im hybriden Team
- Leadership in unsicheren Zeiten: mehr spüren, weniger führen
- Die Potenziale von ADHS-Patient*innen für das Recruiting nutzen
Als Möglichkeit, die zahlreichen Themen im Blick zu behalten, die moderne HR- oder Recruiting-Arbeit ausmachen, wurde der HR Trendradar vorgestellt. Ziel ist es, sich nicht mit zu vielen Baustellen auf einmal zu überfordern, und trotzdem kein wichtiges Thema zu vergessen. Dazu werden die Themen zunächst geclustert. In die Gruppe „Tech-Themen“ würde z.B. die Einführung einer Dienstplan App gehören, in der Cluster „Mitarbeiter*innen & Kultur“ z.B. das Thema Feelgood Management. In die Gruppe „Prozesse/Methoden/Kanäle“ würde etwa der geplante Aufbau eines Unternehmensprofils auf TikTok eingeordnet.
Die zweite Sortierebene erfolgt dann auf einer Art Dartscheibe. Ins Zentrum kommt alles, was unbedingt sein muss. Wie die Optimierung des digitalen Bewerbermanagements. Darum herum gruppieren sich Themen, für die eine Strategie erarbeitet werden sollte, um mittelfristig in die Umsetzung zu gehen. Auf der dritten Ebene befinden sich Themen, die beobachtet werden sollen, ob sie irgendwann relevant für das Unternehmen werden. Dazu sollte man gelegentlich einen Blog- oder Fachartikel lesen und im Auge behalten, was andere Unternehmen machen. Im äußeren Ring der Dartscheibe liegen Themen, die existieren, aber auch mittelfristig im Unternehmen nicht in den Fokus rücken werden.
Trend-Anglizismen beim HR Barcamp 2024
Beim Sammeln der neuen Aufgaben in der Recruiting-Abteilung wurde natürlich auch wieder mit neuen Anglizismen um sich geworfen. Personalplanung heißt jetzt „HR Forecasting“ (wie der Wetterbericht – weather forecast). New Pay meint neue Gehaltsmodelle, die die Mitarbeitenden sowohl bei der Bewertung ihrer eigenen Leistung und angemessenen Vergütung als auch bei der Erstellung eines transparenten Gehaltsmodells für das gesamte Unternehmen einbezogen werden.
Low Code / No Code ist ein Ansatz, um Softwarelösungen ohne Programmierkenntnisse oder Agenturen kostensparend inhouse zu entwickeln. Job Crafting bedeutet, als Mitarbeiter*in sein Aufgabenprofil selbst zu gestalten und mit Blick auf die Unternehmensziele weiterzuentwickeln, anstatt auf starren Stellenbeschreibungen zu verharren. So spannend es einerseits ist zu beobachten, wie sich HR allgemein oder Recruiting speziell in immer mehr Unterdisziplinen aufgliedert, so absurd wird es auch irgendwann. Denn wer soll das alles noch bearbeiten?
ADHS-Recruiting: Echt jetzt?
Diese Frage muss man sich auch stellen, wenn eigene Personalmarketingkonzepte für die Gruppe von Bewerber*innen mit ADHS gefordert werden. Diese Beeinträchtigung beträfe immerhin je nach Studie 3,4 bis 4,7% der Bevölkerung, also Millionen von potenziellen Bewerber*innen. Aber das HR Barcamp 2024 ff. ist ja schließlich auch da, um über Nischenthemen nachzudenken, für die sonst kein Raum bleibt. Und so war die ADHS-Diskussion tatsächlich eine der spannenderen des Tages, während sich in anderen Sessions einiges aus dem Vorjahr wiederholte.
So bringen ADHS-beeinträchtigte Mitarbeitende nicht nur Schwächen wie Prokrastination und Impulsivität ins Team. Sondern sie können in Themen, die sie interessieren, auch richtig tief eintauchen und innerhalb kürzester Zeit Outside-the-box-Konzepte hervorbringen. Da einige der ADHS-Eigenschaften wie Konzentrationsschwierigkeiten bzw. kurze Aufmerksamkeitsspanne auch grundsätzliche Generation Z-Merkmale sind, würde sich ein Recruitingkonzept oder spezielles Aufgabenprofil für diese Zielgruppe in mehrfacher Hinsicht lohnen. Und immerhin wäre das ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem man sich wirklich noch von anderen Arbeitgebern abheben könnte.
Home Office und Teambuilding: Kann das gehen?
Zum Schluss noch ein Thema, das für mich und mein Team im nächsten Jahr besonders relevant werden wird: hybrides Teambuilding. Wenn ich im ersten Quartal zu meinem kleinen Sabbatical aufbrechen und mich zu Teammeetings digital vom anderen Ende der Welt zuschalten werde, stellt sich die Frage, wie ein Wir-Gefühl erhalten bleiben bzw. mit ggf. neu dazu kommenden Kolleg*innen entstehen kann. Auch die Leistungsfähigkeit muss weiter gesichert bleiben, Kommunikation und Absprachen müssen klappen. Beim HR Barcamp 2024 wurden Ideen dazu zusammengetragen. Hier nun also exklusiv für Abonnent*innen die Ideen für hybrides Teambuilding:
Ausführliche Tipps exklusiv für Abonnent:innen
Ist Wir-Gefühl vielleicht schon out?
Auch haben wir die interessante Frage diskutiert, ob ein Wir-Gefühl überhaupt notwendig ist, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Und ob es wirklich für eine stärkere Mitarbeiterbindung sorgt oder nicht. Das Ergebnis der Diskussion: Letztendlich ist es eine Typfrage, ob man das Wir-Gefühl mag und braucht. Klar ist es schön, ein nettes, gutes funktionierendes Team zu haben, aber die Generation Z, die eher auf die Life-Work-Balance (also auf Erfüllung in privaten Freundes- und Bekanntenkreisen) setzt als umgekehrt, wird deswegen nicht von einem Jobwechsel absehen, wenn dieser mehr Zeit fürs Privatleben verspricht.
Fakt ist, dass alle Aktivitäten, die ein Wir-Gefühl erzeugen (Meetings, After-Work-Events, Superivsionen) Zeit kosten. Und dass der Trend heute eher zur 35-Stunden-Woche oder Teilzeit direkt ab Berufseinstieg geht und Überflüssiges im Arbeitsalltag rigoros abgeschafft werden muss, damit die Arbeit geschafft werden kann. Der Trend zur Leasingtätigkeit in der Pflege bestätigt ebenfalls, dass auch Mitarbeitende in Gesundheitsunternehmen nicht unbedingt Teamzugehörigkeit brauchen, um sich gut zu fühlen. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich denke, Teambuilding-Maßnahmen hätten ausgedient. Aber überbewertet werden sollten sie in der Wirksamkeit auch nicht.
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