Ein Interview mit Pflegedienstleiter Thorben Maack über die interkulturelle Kompetenz.

Genug Pflegekräfte sind immer da, fünf bis zehn Initiativbewerbungen gehen pro Halbjahr ein, Stellenanzeigen müssen  nur für Positionen mit besonderer Qualifikation geschaltet werden  – viele Sozial- und Pflegeeinrichtungen können von solchen Zuständen nur träumen. Für den Gustav-Schatz-Hof in Kiel, der unter anderem ambulante Pflege, eine Wohngemeinschaft für Demenzkranke, eine Tagespflege  und einen Mietertreff anbietet, ist es Realität. Ein Interview mit Pflegedienstleiter Thorben Maack über die interkulturelle Kompetenz.

Wie kann es sein, dass Ihre Einrichtung in Zeiten des Fachkräftemangels personalmäßig so gut dasteht?

Wir machen Quartiersarbeit in einem Stadtteil von Kiel, der von vielen unterschiedlichen Kulturen geprägt ist. Das interkulturelle Konzept sieht vor,  mindestens 25 Prozent der betreuten Seniorenwohnungen an Bewohner mit Migrationshintergrund zu vermieten. Bei der Auswahl unserer Mitarbeitenden achten wir darauf, dass sie eine ausgeprägte Toleranz und interkulturelle Kompetenz mitbringen und möglichst verschiedene Sprachen beherrschen. Von unseren 48 Mitarbeitenden, die acht verschiedene Sprachen sprechen, haben derzeit 12 einen Migrationshintergrund. Es sind im Vergleich zu anderen Sozial- und Pflegeeinrichtung überdurchschnittlich viele männliche Fachkräfte dabei. Nachdem wir für unsere Arbeit 2015 mit dem Schleswig-Holsteinischen Altenpflegepreis ausgezeichnet wurden, sind wir sehr bekannt geworden und haben einen guten Ruf erworben, sodass wir viele Initiativbewerbungen bekommen. 

Ihre Einrichtung gehört zur Diakonie Altholstein, normalerweise müssen die Mitarbeiter einer christlichen Kirche angehören. Wie sind Sie mit diesem Hindernis umgegangen?

Zunächst gab es Diskussionsbedarf. Die Kirchenzugehörigkeitsklausel gibt es bei uns immer noch, aber wir haben den Begriff weiter gefasst und nehmen nun auch Mitarbeitende anderer Glaubensrichtungen, weil es in diesem interkulturellen Arbeitsfeld gar nicht anders möglich wäre, unserem Versorgungsauftrag angemessen zu entsprechen. Die interkulturelle Kompetenz ist das Wichtigste.

[WERBUNG] Pflegeschüler*innen werden schon in der Ausbildung auf das Thema interkulturelle Pflege vorbereitet. Beispielsituationen, Verhaltensweisen und ethische Grundsatzfragen stellen und diskutieren sie mit diesem Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe: “Transkulturelle Kompetenz” von Dagmar Domenig (Huber Verlag, 2007; Amazon Affiliate Link).

Wir haben zudem die Erfahrung gemacht, dass die reine Zugehörigkeit zu einer Kirche nichts darüber aussagt, wie religiös ein Mensch ist. Unsere muslimischen Mitarbeitenden bringen oft ein hohes diakonisches Selbstverständnis mit. Anfangs hieß es auch, muslimische Pflegekräfte wollen sicher gar nicht bei der Diakonie arbeiten. Aber das hat sich als falsch herausgestellt.

Wie platzieren Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal im Recruiting?

Viel Recruiting müssen wir gar nicht machen, da wir sehr viele Initiativbewerbungen bekommen und keine Personalsorgen haben. Wer sich bei uns bewirbt, weiß, worauf er sich einlässt. Im Bewerbungsgespräch ist unser interkulturelles Konzept eines der ersten Themen, die ich anspreche. Eigentlich mussten wir erst einmal eine Stellenanzeige schalten, als wir eine Teamleitung für die Tagespflege gesucht haben, die interkulturelle Kompetenz mitbrachte. Da haben wir in die Anzeige reingeschrieben, dass Interesse an multikultureller Zusammenarbeit Voraussetzung ist.

Welche Vorteile für Ihre Mitarbeiter bieten Sie noch?

Man muss heutzutage einfach für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Wir haben flexible Arbeitszeiten – insbesondere die „Mutti-Tour“ von acht bis zwölf Uhr ist sehr beliebt gerade bei alleinerziehenden Frauen. Eine große Rolle spielt auch die Persönlichkeit des Vorgesetzten. Ich habe es immer gehasst, wenn mein Chef kein offenes Ohr für mich hatte, und habe mir vorgenommen, es anders zu machen. Ich erwarte von meinen Mitarbeitern Toleranz und Vertrauen, dann muss ich das auch vorleben! Wenn mir jemand sagt: „Ich brauche wegen einer wichtigen privaten Angelegenheit unbedingt am Wochenende frei“, dann hake ich nicht nach, sondern gebe frei und Kollegen springen ein. Dafür weiß ich aber auch, dass der Mitarbeiter sich nächstes Mal, wenn ich sage: „Ich brauche jemanden, der am Wochenende arbeitet“, freiwillig melden wird. Das macht dieses Team aus: Eine Hand wäscht die andere.

Was zeichnet die Mitarbeiter Ihrer Einrichtung aus? Was heißt “interkulturelle Kompetenz”?

Es geht nicht nur um die Sprache. Unsere Mitarbeiter brauchen kulturelles Hintergrundwissen: dass man bei einem türkischen Klienten zu Hause die Schuhe auszieht. Dass man vielleicht erstmal einen Tee trinkt, bevor man mit der Pflege beginnt. Dass es normal ist, wenn die ganze Großfamilie im Raum ist und sich mit um den Opa kümmern will. Wir investieren viel in interkulturelle Schulungen, auch für unsere Führungskräfte.

[WERBUNG] Interkulturelle Pflege, transkulturelle Pflege, kultursensible Pflege, interreligiöse Pflege – es gibt verschiedene Begriffe für die Tatsache, dass Pflegekräfte sich heutzutage auf kulturelle Unterschiede ihrer Patienten einstellen können müssen. Welche das genau sind, erfahren Sie im Fachratgeber “Transkulturelle Pflege” von Ulrike Lenthe (Facultas Verlag, 2015; Amazon Affiliate Link).

Ein typisches Beispiel aus unserer Demenzwohngruppe: Ein türkischer Bewohner nimmt sich beim Mittagessen eine Bratwurst, weil er vergessen hat, dass er kein Schweinefleisch essen darf. Da fragen unsere Betreuungskräfte: „Sollen wir ihm die Wurst wegnehmen oder sollen wir ihm seine Selbstständigkeit lassen?“ Im Rahmen der Biografiearbeit mit den Angehörigen haben wir besprochen, dass der Mann sein Leben lang kein Schweinefleisch gegessen hat und darum auch jetzt keins essen soll. Das Interesse und die Neugier, sich mit solchen Situationen auseinanderzusetzen, ist eine Grundvoraussetzung.

Haben Sie einen Tipp für Personaler in Sozial- und Pflegeeinrichtungen, die Personalsorgen haben?

Seien Sie offen, mutig und seien Sie bereit zu investieren, zum Beispiel auch bei langzeitarbeitslosen oder älteren Bewerbern! Ich habe kürzlich drei Langzeitarbeitslose eingestellt. Einer war gelernter Florist, hat jahrelang nur Absagen bekommen, ihm fehlte jede Motivation. Als das Arbeitsamt ihm eine Neuorientierung in Richtung Betreuung vorschlug, konnte er sich erst nicht vorstellen, mit Demenzkranken zu arbeiten. Ich habe ihn als Praktikanten eingestellt, ihm danach seine Qualifikation bezahlt. Und nun haben wir einen weiteren hoch motivierten Mitarbeiter!

Für mich ist das Wichtigste nicht die Qualifikation eines Bewerbers, sondern ob er oder sie von der Einstellung her in unsere Einrichtung passt. Wenn ich so jemanden finde, mache ich vieles möglich und finde individuelle Lösungen, um ihn zu halten. Aber wenn wir gerade keine freie Stelle im Gustav-Schatz-Hof haben, bieten wir dem Bewerber übergangsweise eine Stelle an einem anderen Standort an mit der Zusage, eine Versetzung sobald wie möglich durchzuziehen. Wenn jemand sich weiterentwickeln möchte, prüfen und überlegen wir gemeinsam, welche Möglichkeiten es gibt.

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