Während dreier strukturierter Anwerbungsphasen haben die DRK Kliniken Berlin schrittweise ihr Integrationsprogramm für ausländische Pflegekräfte aufgebaut und verbessert.
Isabell Berger, Referentin der Vorstandsvorsitzenden in der DRK-Schwesternschaft Berlin, berichtet über die Erfahrungen mit Pflegekräften aus Vietnam, von den Philippinen und aus Kolumbien.
Wann haben Sie erstmals ausländische Pflegekräfte in die DRK Kliniken Berlin geholt?
Wir sind vor drei Jahren durch Zufall an das Thema ausländische Pflegekräfte gekommen, als uns eine Agentur eine Gruppe von zwölf Vietnamesen anbot. Nur drei Monate vergingen von der Zusage bis zur Einreise der Vietnamesen. Es war kaum Zeit, ein Integrationskonzept vorzubereiten. Denn wir mussten vor allem mit unserem Bildungszentrum ein Curriculum für eine sechsmonatige Anpassungsqualifizierung entwickeln und dieses beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) anerkennen lassen.
Der Anerkennungskurs bestand aus 200 Stunden. Themen wie Grundpflege, Prophylaxen, Hygiene und vieles mehr wurden durchgenommen. Vier Tage die Woche arbeiteten die Vietnamesen auf Station, einen Tag verbrachten sie im Bildungszentrum. Die Prüfung konzentrierte sich eher auf Hörproben und aus deutscher Sicht einfache praktische Themen. Denn aufgrund der Hochschulausbildung in ihren Ländern wissen ausländische Fachkräfte zwar, wie man die Wirksamkeit von Insulin erforscht. Aber sie haben großen Nachholbedarf bei den Basics.
Welche Willkommensmaßnahmen haben Sie für die Vietnamesen ergriffen?
Als Onboardingmaßnahmen haben wir Briefe und Fotos von unseren Teams nach Vietnam geschickt, bevor die Fachkräfte einreisten. Nach der Einreise gab es eine Willkommensfeier in der DRK-Schwesternschaft Berlin mit allen Führungskräften – vom Geschäftsführer bis zu den Pflegedienstleitungen. Wir haben kleine Begrüßungsgeschenke verteilt und Tandempartner bestimmt. Also jeweils einen Kollegen aus dem Team, der sich um eine ausländische Fachkraft kümmern sollte.
Wie erfolgreich waren Sie in diesem ersten Projekt “Ausländische Pflegekräfte in den DRK Kliniken Berlin”?
Von zwölf Vietnamesen haben vier die Anerkennungsprüfung im ersten Anlauf und vier im zweiten Anlauf bestanden. Für die restlichen vier Personen haben wir eine Sondergenehmigung beantragt, um die Ausbildung verkürzen zu können. Im Moment arbeiten acht Vietnamesen in unseren Kliniken. Aus diesem Pilotprojekt haben wir vor allem gelernt, dass es ungünstig ist, sehr junge Menschen direkt nach ihrem Studium nach Deutschland zu holen. Weil sie noch sehr unselbstständig sind und keine Berufserfahrung haben.
[Werbung] Auch wenn sie noch so viel Aufwand kostet und einen Behördenmarathon verursacht: die Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte ist nicht das größte Problem. Viel schwieriger und langwieriger ist es zu erreichen, dass sich die neuen internationalen Mitarbeitenden in den Teams wirklich wohl fühlen und in Deutschland auch sozial und emotional angekommen fühlen. Was neben der fachlichen Einarbeitung und dem organisatorischen Startprogramm wichtig ist (Hobbys und Kirchengemeinden finden, Karriereziele verfolgen, interkulturelle Missverständnisse ausräumen und vieles mehr), erklären meine Mitautorin Olivia Prauss und ich in unserem Fachratgeber „Betriebliche, kulturelle und soziale Integration ausländischer Pflegekräfte“, Olivia Prauss und Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Verlag, 2020 (Amazon Affiliate Link).
Welche Veränderungen haben Sie in der zweiten Phase eingeführt?
Uns war klar, dass wir mit der internationalen Rekrutierung weitermachen müssen, vor allem als Signal an unsere Mitarbeitenden, dass wir etwas tun, um die offenen Stellen in den Teams zu füllen. Klar war aber auch, dass das keine kurzfristige Lösung sein kann, sondern mittel- bis langfristig gedacht werden muss. Einen zweiten Versuch haben wir mit einem anderen Anbieter gewagt, der uns zwölf Philippiner vermittelte. Fachkräfte von den Philippinen dürfen ihre Heimat erst zwei Jahre nach der Ausbildung verlassen, bringen also schon Berufserfahrung und Selbstständigkeit mit. Der Dienstleister wollte uns eigentlich dafür gewinnen, dass wir den Anpassungskurs bereits auf den Philippinen durchführen. Doch das konnten wir personell nicht leisten. Inzwischen wussten wir ja auch, wie aufwändig die Betreuung hier in Deutschland ist.
In der zweiten Phase haben wir den Anpassungskurs drei Monate nach der Einreise begonnen, damit die Fachkräfte in Ruhe ankommen konnten. Damit haben wir bessere Erfolge erzielt: acht von zwölf haben die Prüfung im ersten Anlauf bestanden. Für drei Personen mussten wir individuelle Lösungen finden. Insgesamt arbeiten jetzt 10 Philippiner bei uns im Unternehmen. Die Einführung in Kleingruppen ist eine gute Strategie. Es macht keinen Sinn, die Stationen mit ausländischen Fachkräften zu überschwemmen.
Welche Aufgaben haben Sie als Integrationsbeauftragte für ausländische Pflegekräfte?
Ich muss die Teams, in denen ausländische Fachkräfte eingesetzt werden, sorgfältig auswählen. Bei uns können sich die Teams freiwillig melden. Ich muss Vorgespräche mit den ausländischen Fachkräften und den Teams führen. Dafür reicht selbst eine Integrationsbeauftragte mit Vollzeitstelle kaum aus. Besonders wichtig war mir, dass wir uns immer dessen bewusst sind, das wir junge Menschen nach Deutschland geholt haben, um für uns zu arbeiten. Ich fühlte mich in jeglicher Sicht für sie verantwortlich.
Ich hatte daher einen sehr engen Kontakt und war Ansprechpartner für alle Themen. Es ist sehr wichtig, dass die Teams wirklich bereit sind, sich auf eine ausländische Kollegin oder einen ausländischen Kollegen einzulassen. Ich habe Präsentationen vorbereitet und an ganz konkreten Beispielen aus den Bereichen Kultur und Pflegetätigkeiten gegenübergestellt: So ist das im Herkunftsland, so in Deutschland. Die Erwartungshaltung muss angemessen sein. Es ist wichtig zu vermitteln, dass ein Dreivierteljahr vergehen kann, bevor die ausländische Kollegin vollwertig eingesetzt werden kann.
Wie haben Sie die Integrationsmaßnahmen im zweiten Versuch optimiert?
Bei den Vietnamesen hatten wir erwartet, dass sie selbst die Motivation mitbringen, Deutsch zu lernen. Wir haben die Teams gebeten, die neuen Kollegen auch privat einzubinden: Tanzen gehen, Kinobesuche, all das, was junge Menschen eben so tun. Dabei unterhält man sich und lernt schnell die Sprache. Das hat aber nicht so gut funktioniert. Darum haben wir im zweiten Anlauf für die Philippiner für ein halbes Jahr acht Stunden pro Woche Sprachunterricht organisiert, denn trotz B2 Zertifikat reichen die Sprachkenntnisse in der Realität nicht aus. Besonders für Auszubildende ist das viel zu wenig.
Der Umgang mit kranken und pflegebedürftigen Menschen verlangt eine reibungslose sprachliche Kompetenz. Es geht um Beratung, Ausführung von mündlichen Arztanordnungen aber auch um Telefonate und zwischenmenschliche Konversation. Leider hat der zusätzliche Deutschkurs nicht die erhoffte Verbesserung gebracht. Das lag daran, dass wir es nicht durchsetzen konnten, dass die Philippiner im Arbeitsalltag und mit den Kollegen konsequent Deutsch sprachen. Alle sind bei Verständigungsproblemen auf Englisch ausgewichen. Es ist wunderbar, dass unsere Pflegekräfte so flexibel sind, aber schade, wenn es den Lernprozess bremst. Denn wenn ein Philippiner erstmal Deutsch gelernt hat, versteht man ihn sehr gut. Er spricht ohne Akzent.
Auf welchen Stationen werden ausländische Pflegekräfte eingesetzt?
Wir haben die Philippiner unter anderem auf der Intensivstation, im OP und in der Anästhesie eingesetzt, weil sie aus diesen Bereichen kamen. Das werden wir nicht nochmal tun. Das sind alles Fachabteilungen, in denen nicht viel gesprochen wird und es sehr hektisch zugeht. Im OP herrscht ein Kommandoton mit kurzen Anweisungen. Ausländische Fachkräfte sollten anfangs besser auf Stationen eingesetzt werden, in denen mehr kommuniziert wird. In Absprache mit den Fachkräften haben wir das getan. Wenn ihre Sprachkenntnisse besser sind, dürfen sie aber zurück in die Fachbereiche. Es ist wichtig, ihnen das zu ermöglichen, denn aufgrund ihrer Hochschulausbildung wollen sie meist lieber auf medizinisch-technischen Stationen arbeiten.
Derzeit stecken Sie mitten in der dritten Anwerbungsphase…
Mit einem dritten Anbieter sind wir im Herbst 2019 nach Kolumbien geflogen. Wir haben uns vor Ort Sprachschulen, ein Krankenhaus und eine Universität angeschaut und unseren Klinikverbund im Rahmen einer Infoveranstaltung des Anbieters vorgestellt. 300 Bewerber haben sich gemeldet, mit 90 haben wir Gespräche geführt und 25 ausgesucht. Zwei sollen schon eher einreisen und uns dann bei der Betreuung der großen Gruppe, die im Sommer erwartet wird, unterstützen. Im Moment scheitert das aber noch an fehlenden Dokumenten. Die große Gruppe ist im Mai/Juni mit ihrem Sprachkurs fertig. Wir haben nicht viel Puffer, denn am 1. Juli soll bereits der Anpassungskurs beginnen. Da unser Bildungszentrum ihn ohne weitere personelle Kapazitäten zusätzlich zur normalen Pflegeausbildung anbietet, ist der Stundenplan eine Herausforderung.
Welche Tipps für die internationale Rekrutierung können Sie anderen Unternehmen geben?
Achten Sie darauf, ausländische Pflegekräfte nicht für Hilfstätigkeiten zu benutzten. Nach dem Motto: „Teil bitte mal schnell das Essen aus“. Das erleichtert die Arbeit auf Station zwar kurzfristig, aber dabei lernen die neuen Kollegen nichts und es führt nicht dazu, dass sie schneller als vollwertige Fachkräfte eingesetzt werden können. Auch ein bestandener Anpassungskurs heißt noch nicht, dass sie wirklich angekommen sind.
[Werbung] Pflegefachkräfte aus dem Ausland, Pflegeauszubildende aus dem Ausland oder Geflüchtete in Deutschland für die Pflege qualifizieren? Das sind völlig unterschiedliche Ansätze und die Zielgruppen brauchen völlig unterschiedliche Programme. Warum das so ist und wie so ein passendes Programm aussehen kann, erkläre ich in meinem Fachratgeber „Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann“, Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Verlag, 2018 (Amazon Affiliate Link).
Finden Sie heraus, wo die individuellen Integrationsprobleme liegen. Eine zierliche Vietnamesin litt besonders darunter, dass deutsche Patienten eher groß und schwerer sind. Sie braucht zusätzliche Hilfsmittel. Ein ausländischer Kollege gab nach langen Gesprächen zu, dass er Angst hatte, seine Prüfung zu bestehen, weil er danach die volle Verantwortung für seine Patienten tragen würde. Ihm musste ich vermitteln, dass er auch als examinierte Fachkraft nicht alleine dasteht. Eine gute Integration besteht immer aus übergreifenden Maßnahmen und Einzelbetreuung.
Wählen Sie einen guten Dienstleister aus. Wir haben das sehr unterschiedlich erlebt, von Dienstleistern, die ihre Fachkräfte sehr eng betreuten, bis zu Dienstleistern, die die Menschen praktisch ins kalte Wasser warfen.
Gibt es auch Tipps, die in den Teams umgesetzt werden können?
Binden Sie Ihre Mitarbeiter ein! Es kamen tolle Ideen zur Integration aus unseren Teams. Ein Team hat sich zum Beispiel ausgedacht, den ausländischen Fachkräften zur Verbesserung der Sprachkenntnisse am Wochenanfang einen Zettel mit Fragen auszuhändigen: „Wie heißt der Hund des Oberarztes? Welche Blumen wachsen im Garten der Stationsleiterin?“ Alle waren eingeweiht, dass diese Fragen nur auf Deutsch gestellt und beantwortet werden dürfen. Am Ende der Woche mussten die internationalen Mitarbeiter die Zettel abgeben. Solche Ideen wollen wir jetzt sammeln und aufschreiben, damit sie an allen unseren Standorten durchgeführt werden können. Allerdings muss man das wirklich intensiv verfolgen. Ideen gibt es meist zahlreich, aber werden sie an der Basis auch umgesetzt? Das muss der Integrationsbeauftragte prüfen. Er darf nicht nur mit den Führungskräften sprechen.
Wählen Sie passende Kulturen aus. Die kolumbianische Kultur ist der europäischen nach meinem ersten Eindruck zum Beispiel viel näher als die asiatische. Die Menschen kommunizieren gern und benennen Probleme deutlich. Sie sind nicht so zurückhaltend wie die Asiaten, deren Probleme man oft erahnen muss. Es ist eins der Hauptprobleme für uns, dass sie nicken, obwohl sie eine Erklärung nicht verstanden haben. Man muss sie richtiggehend ermutigen, zu sagen: „Bitte können Sie das nochmal erklären, ich habe es nicht verstanden.“
Wie ist Ihr Fazit?
Rechnen Sie damit, dass es nicht immer leicht wird. Wir haben zwei ausländische Pflegekräfte mit wirklich schwierigen Charakteren erlebt. Der individuelle Hintergrund kann so vielfältig sein! Als Beispiel sei ein Mitarbeiter genannt, der in seiner Heimat wahrscheinlich traumatische Dinge erlebt hat und deshalb sehr schüchtern ist. Da helfen nur ganz individuelle Betreuungsmaßnahmen. Und man muss sich auch trauen, sich von aus dem Ausland rekrutierten Mitarbeitern zu trennen, wenn es gar nicht geht. Auch wenn man eine besondere Verantwortung gegenüber Menschen verspürt, die man aus ihrer Heimat geholt hat. Wir hatten einen speziellen Fall mit einem echten Einzelgänger. Ein verantwortungsbewusster Umgang bedeutete in dem Moment für uns, dass wir ein Exitgespräch mit der Pflegekraft, einem Dolmetscher, einem Anwalt und dem Ehemann geführt haben, um die Gründe ausführlich zu besprechen.
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