Dr. Matthias Mauch ist Mitgründer des Bildungsdienstleisters Gerandu. Ein Interview.

Neben Ausbildung, Sprachkursen und Studienberatung bietet er auch Personalvermittlung von Pflegekräften aus arabischen Ländern nach Deutschland an. Gerandu steht dabei für „Germany and you“. Warum er Bosnien und Brasilien nicht für die besten Herkunftsländer für ausländische Fachkräfte hält, aber sehr gute Erfahrungen mit Arbeitsmigranten aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Regionen gemacht hat, erzählt Mauch im Interview.

Was spricht für Tunesien als Herkunftsland für ausländische Pflegekräfte?

Mit Fachkräften aus Tunesien gibt es schon langjährige Erfahrungen. Es ist eins von nur zwei Ländern in Afrika, bei denen es rechtlich keine Probleme gibt, Pflegekräfte für eine Anpassungsqualifizierung nach Deutschland zu holen. Tunesien ist ein Tourismus-Land. Man ist in zwei Flugstunden dort. Daher sind die Verbindungen zu Deutschland gewachsen.

Wir sind eine Sprachschule für Studenten und haben in den vergangenen Jahren schon deutlich mehr als 500 Studierende nach Deutschland vermittelt. Zuerst vor allem Elektroingenieure, inzwischen immer stärker auch Pflegekräfte. In Tunesien wächst ein Großteil der Bevölkerung bi- oder sogar trilingual auf und spricht Arabisch, Französisch und Englisch. Dadurch sind die Menschen extrem sprachaffin und lernen leicht eine weitere Sprache, zum Beispiel Deutsch. In acht Monaten Vorbereitungskurs bringen wir sie bis zu einem guten B2-Niveau, das wir auch selbst in Zusammenarbeit mit dem ÖSD zertifzieren. Und das ist wichtig. Denn wenn man sich einmal verschiedenste Studien anschaut, ist das Hauptproblem, das Arbeitgeber mit ausländischen Fachkräften haben, dass sie nicht gut Deutsch sprechen.

Welche Vorbehalte haben deutsche Arbeitgeber gegenüber tunesischen Fachkräften?

Ich bekomme häufig die klassischen Fragen nach der Rolle der Frau, nach muslimischen Gesetzen und ob Hierarchien akzeptiert werden. Dazu kann ich sagen, dass die Tunesier französisch geprägt sind, das Kopftuch war bis vor kurzem sogar verboten. Religion und Staat sind strikt getrennt. Mein Geschäftspartner, er ist mein früherer Basketballtrainer, hat tunesische Eltern und kennt das Land also in- und auswendig. Er hat das Personalvermittlungsprojekt in Tunesien gestartet. Dann sind mein Bruder und ich dazugestoßen und aus einem Herzensprojekt wurde ein richtiger Job.

Wenn es einen „Nachteil“ gibt – ich will ein ehrliches Bild zeichnen: Die Tunesier sind sehr ehrgeizig. Sie wollen schnell vorankommen, gerne wenn möglich bei dem Arbeitgeber, bei dem sie gestartet sind. Wenn ich unsere Klienten für unsere Werbefilme frage, warum sie gerne in Deutschland sind, nennen sie nicht das Gehalt oder bessere Arbeitsbedingungen als in ihrer Heimat. Sondern sie sagen: Weil ich mich in Deutschland weiterentwickeln kann. Ich kann Praxisanleiter werden, Intensivpflege lernen. Das macht es für die Pflegedienstleitungen schwierig, denn sie brauchen die Arbeitsmigranten natürlich erstmal für die klassischen Pflegeaufgaben.

[Werbung] Seit April 2020 ganz neu gibt es eine wertvolle Unterstützung beim Thema Rekrutierung internationaler Pflegekräfte: Den Fachratgeber „Betriebliche, kulturelle und soziale Integration ausländischer Pflegekräfte“, Olivia Prauss und Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Verlag, 2020 (Amazon Affiliate Link). Darin fassen meine Mitautorin und ich die Erfahrungen vieler Unternehmen zusammen und leiten Tipps und Checklisten daraus ab. Wie kannst Du eine gute Befragung Deiner ausländischen Mitarbeitenden aufziehen, um daraus Erkenntnisse für eine bessere Integration zu gewinnen? Was haben die Themen Hierarchie, Kulturschock und Konfliktverhalten mit der gelungenen Integration zu tun? Wir geben Antworten.

Das ist in der Altenpflege noch schwieriger als in der Krankenpflege, obwohl wir mit dem Bayerischen Roten Kreuz auch eine gut laufende Kooperation haben, bei der wir Auszubildende für die Altenpflege aus Tunesien vermitteln. Die Auszubildenden lernen von Anfang an, wie es in Deutschland funktioniert. Bei der Vermittlung von Azubis werden wir vom tunesischen Bildungsministerium unterstützt. Die bereits fertig studierte tunesischen Gesundheits- und Krankenpfleger können dagegen selber intubieren, für sie ist die Altenpflege vom Kopf her ein Rückschritt und die Bezahlung meist schlechter als im Krankenhaus.

Wie lösen Sie bei Gerandu dieses Problem?

Wir achten darum darauf, dass unsere Klienten, wenn sie in der Altenpflege eingesetzt werden sollen, schon Erfahrungen in der Geriatrie haben. So wissen sie, worauf sie sich einlassen. Neben der sprachlichen Vorbereitung machen wir in Tunesien auch kulturelle Vorbereitungskurse. Die Vorbereitung muss unbedingt ganzheitlich erfolgen, also auf beruflicher und sprachlicher Ebene: So ist zum Beispiel einer meiner Mitarbeiter Übersetzer für Arabisch und gelernter Krankenpfleger. Er kennt sich also gut aus, es gibt aber auch viel zu tun, wenn Sprache und Berufsbild auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden müssen. Er fliegt alle sechs Wochen nach Tunesien und erklärt unseren Studierenden, was sie in Deutschland erwartet. Dass es ein Jahr dauert, bis man sich eingewöhnt hat. Das muss man durchhalten.

Und dann möchte der Arbeitgeber erstmal drei Jahre lang sehen, dass man seine Arbeit in der Pflege am Bett gut macht. Aber spätestens nach drei Jahren muss man ihnen etwas bieten. Wer das als Arbeitgeber versteht, der bekommt treue Mitarbeitende. Wir haben sehr niedrige Rücklaufquoten. Die Motivation muss einfach hochgehalten werden. Dabei können wir zwar unterstützen – aber für den Erfolg am Arbeitsplatz ist letztendlich der Arbeitgeber verantwortlich. Auch wenn wir unsere Kunden jederzeit beraten, an der Stelle ist Deutschland als Integrationsland gefragt! Man muss auch verstehen, dass bei jedem, der seine Heimat für einen besseren Job verlässt, Geld eine Rolle spielt. Ich würde schätzen, dass die Hälfte des Gehalts dem Unterhalt der Familie in Tunesien dient.

Welche Fehler sollte man als Arbeitgeber noch vermeiden?

Es geht meistens nicht gut, wenn man als Unternehmen nur darauf achtet, dass es schnell und hindernislos läuft. Wer Arbeitskräfte aus Spanien oder Italien anwirbt, dann womöglich noch mit einem schlechten Sprachniveau, der darf damit rechnen, dass diese Migranten genau ein Jahr bei ihm arbeiten und dann zurück in die Heimat gehen werden. Denn dort können sie die Auslandserfahrung als Pluspunkt in ihrem Lebenslauf vorweisen und vom öffentlichen Krankenhaus in eine Privatklinik wechseln. Da verdienen sie teilweise bis zu 30 Prozent mehr, es gibt einen viel besseren medizinischen Standard, keine 8-Bett-Zimmer mehr. Die Privatkliniken sehen eher aus wie Modeagenturen als wie Krankenhäuser.

Wenn die Bundesregierung überlegt, die Leute nun schon mit B1 oder A2-Niveau nach Deutschland zu holen, halte ich das für den falschen Weg. Eine langfristige Integration in den Arbeitsmarkt kann nur funktionieren, wenn eine schnell Aufnahme in das Arbeits- und vor allem das Sozialleben in Deutschland garantiert wird und gerade das kann in der tiefsten Eifel oder in der östlichen Oberpfalz nicht so einfach gewährleistet werden.

Was halten Sie für den richtigen Weg?

Nur mit soliden Grundkenntnissen der Sprache können die ersten großen Hindernisse wie die Eingewöhnung am Arbeitsplatz, das Finden von Freunden aber auch die oft starken Akzente in Deutschland zügig abgebaut und ein fachlicher Fortschritt gewährleistet werden. Denn darum geht es ja: Möglichst schnell den Kolleg*innen und Pflegedirektor*innen am Bett eine helfende Hand zu sein!

Das ist leichter gesagt als getan, wenn sowohl Sprach- als auch Anpassungsinstitute fehlen und im Sportverein die bayrische Sprache nicht verstanden wird!” Für Gerandu wäre es auch einfacher und schneller verdientes Geld, aber es funktioniert eben nicht nachhaltig. Es gibt viele Konkurrenzanbieter in Tunesien, die das versprechen, aber ich bin sicher, sie werden auf die Nase fallen. Ich habe selbst vier Jahre in England und je ein Jahr in Frankreich und Spanien gewohnt, ich weiß wie das ist, wenn man den Behörden ausgeliefert ist. Jeder Tag, an dem man die Sprache des Landes besser gelernt hat, zählt!

[Werbung] Dienstleister wie Gerandu holen Pflegekräfte aus dem Ausland. Wie man den richtigen Dienstleister auswählt, warum eine strategische Herangehensweise an die internationale Rekrutierung gut ist, aber immer auch die Bedürfnisse des ganz konkreten Mitarbeitenden im Blick behalten werden müssen, erkläre ich in meinem Fachratgeber „Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann“,  Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Verlag, 2018 (Amazon Affiliate Link).

Wie hoch sind die Kosten für die Personalvermittlung aus Tunesien bei Gerandu?

Wir von Gerandu übernehmen auf Wunsch alles – vom Handyvertrag bis zur Versicherung. Dabei kommt die Preisgestaltung komplett auf die Wünsche des Kunden an – Welche Vorbildung ist gewünscht? Wie intensiv soll die Betreuung in Deutschland ausfallen? Was wird dem Personal in Deutschland geboten? Gerade Arbeitgeber, bei denen wir das Gefühl haben, man gibt sich Mühe und kümmert sich liebevoll um die Neuankömmlinge, kommen wir auch gerne preislich entgegen.” Wenn Arbeitgeber günstige Sprachkurse anbieten, geben wir Rabatt.

Wir kennen uns mit Fördermitteln aus und beraten Unternehmen, wie sie die Kosten für sich senken und wo sie Beihilfen beantragen können. Das tunesische Pflegepersonal bezahlt lediglich für die eigene Sprachausbildung im Land – diese kostet etwa 2.200 tunesische Dinar, also etwa 700 Euro für alle Niveaustufen. Das ist auch in Tunesien ein akzeptabler Betrag für eine so lange Spracherziehung. Und es ist die Vorleistung, die wir erwarten, um zu sehen, ob die Motivation stimmt. Unsere Leute sollen schuldenfrei ankommen und einen Überblick über ihre Finanzen haben.

Wie sind Ihre Pläne mit Gerandu für die nächsten Jahre?

Wir expandieren gerade in weitere arabisch-sprachige Länder. Dort gibt es wie in Tunesien einen schwierigen Arbeitsmarkt, eine gute Ausbildung. Die Hälfte meines Teams kommt aus dem Nahen Osten, ich habe bei Gerandu selber gute Erfahrungen mit ihnen gemacht. Die rechtlichen Dinge haben wir mit dem Auswärtigen Amt abgesteckt und gerade ein Gesundheitsunternehmen als Kooperationspartner für das Pilotprojekt gefunden.

Ich halte diese Weltregion für wesentlich interessanter als die Länder, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den Fokus nehmen möchte. Spahn hat einen super Drive beim Thema ausländische Fachkräfte, aber seine Bemühungen sind etwas unkoordiniert. Bosnien als Anwerbungsland macht für mich zum Beispiel überhaupt keinen Sinn. Es hat vier Millionen Einwohner und soll als Hub für ein Land mit 82 Millionen Einwohnern dienen? Allein nach Hessen wollen jährlich 400-500 Bosnier – ein enormer Wert!

Und wie ist es mit Südamerika?

Bei Mexiko ist das Problem die Sprache. Ich habe in Berlin informell eine mexikanische Delegation des BMG getroffen, welche sich über das deutsche Gesundheitssystem informiert hat, jedoch zwischen den Zeilen bereits auf die großen Gehaltsunterschiede zu den USA hingewiesen haben. Ich war gerade mit einer Delegation des Bundesgesundheitsministers in Mittelamerika. Auch Brasilien und die Philippinen sind als Herkunftsländer angedacht. Doch in Brasilien kosten die Sprachkurse doppelt so viel wie in Tunesien oder arabischen Ländern. Und die Menschen tun sich sehr viel schwerer mit der deutschen Sprache. Wenn man Fachkräfte von dort holen will, müssen auch in ländlichen Gebieten in Deutschland Sprach- und Anpassungsinstitute den enormen Bedarf an sprachlicher Anpassung auffangen können – dies sehe ich bisher nicht. Große Unternehmen wie die Charité oder Helios können sowas alleine stemmen, aber wenn in kleineren Kliniken die ausländischen Mitarbeitenden dreimal die Woche 50km bis zur nächsten Sprachschule fahren müssen, funktioniert das nicht.

Wie schätzen Sie die Lage in Asien ein?

In den asiatischen Ländern sehen wir hauptsächlich das Problem der extremen Wartezeiten an den deutschen Botschaften: So dauert der Immigrationsprozess für phillipinische oder vietnamesische Krankenpfleger*innen oft 18 Monate und mehr – um die Situation hier zu entschärfen wäre eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt wichtig, denn auch in Tunesien spüren wir bereits den Druck des deutschen Arbeitsmarktes. Zusammenfassend ist wohl festzuhalten, dass Herr Spahns Bemühungen zur verstärkten Akquise von Fachpersonal aus dem Ausland in die richtige Richtung gehen. Bei der konkreten Implementierung jedoch sehen wir nach wie vor enormen Aufholbedarf. Gerade bei der Zusammenarbeit zwischen den Institutionen.

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