Das Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart hat eine Interkulturelle Pflege Ausbildung konzipiert.
Dass Bewerber einen hohen Anteil an Klienten und Kollegen mit Migrationshintergrund in einer Sozial- oder Gesundheitseinrichtung nicht unbedingt als negativ, sondern sogar als positives Alleinstellungsmerkmal wahrnehmen (Wenn das Konzept dazu stimmt!), hatte ich im Blogbeitrag „Mit Multi-Kulti gegen den Fachkräftemangel“ über den Gustav-Schatz-Hof in Kiel ja bereits geschildert.
Sie dient einerseits als Möglichkeit zum Berufseinstieg in die Pflege für die Zielgruppe Geflüchtete, richtet sich aber auch an deutsche Azubis mit einem Interesse an einer bunten Gesellschaft. Die deutschen Azubis nehmen für dieses bisher einzigartige Angebot sogar eine längere Ausbildungszeit und eine geringere Ausbildungsvergütung aufgrund des Teilzeit-Anteils der Fachausbildung in Kauf. Dr. Annette Lauber, Direktorin des Irmgard Bosch Bildungszentrums im Robert Bosch Krankenhaus, stellte das Projekt beim Deutschen Pflegetag vor.
Die Interkulturelle Pflege Ausbildung: Konzeption und Ziele
Das Ausbildungsprojekt will die Pflegefachkompetenz mit interkulturellen Kompetenzen verbinden und einen Beitrag zur beruflichen und sozialen Integration von Menschen aus nicht-sicheren Herkunftsländern leisten. Dazu hat Annette Lauber ein interkulturelles Lernumfeld geschaffen und die Potenziale und Herausforderungen einer interkulturellen Ausbildung erfahrbar gemacht. Zunächst musste sie die Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und spezifischen Lernaspekte dieser besonderen Ausbildungsform konzeptionell beschreiben.
Alle normalen Ausbildungsinstrumente und -methoden setzt sie ein, passt sie aber an die Sprachkompetenzen der Teilnehmer an. Übungspflegesituationen ergänzt sie um interkulturelle Herausforderungen. Auch besonderen Anforderungen an die Lehrkräfte hat sie bedacht. Den ersten Praxiseinsatz absolvieren die Teilnehmer da, wo das Vorpraktikum stattgefunden hat, das alle Teilnehmer durchlaufen haben, um einen Anknüpfungspunkt zu schaffen. Wichtig war allen Beteiligten, dass das Projekt kein Schnellschuss, sondern ein zukunftsfähiges und auf andere Zielgruppen anwendbares Ausbildungsangebot sein sollte.
Ausbildung statt Anpassungskurs
Ganz bewusst entschied sich das Robert Bosch Krankenhaus, das Projekt nicht wie viele andere Projekte für Geflüchtete als Vorbereitungsmaßnahme, sondern als echte Ausbildung entlang der gesetzlichen Regelungen zu konzipieren. Basis war die 4-jährige Teilzeitausbildung (75%) in der Gesundheits- und Krankenpflege, die mit einem Anteil von 25% um das so genannte KulturPlus Programm ergänzt wurde.
Der Berufsabschluss ist der examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger mit einem zusätzlichen Zertifikat über erworbene interkulturelle Kompetenzen. Der erste Ausbildungsjahrgang startete im Sommer 2017, nachdem der eigentlich geplante Start im April sich als zu kurzfristig erwiesen hatte. Es hatten sich dafür 80 geflüchtete und 13 deutsche Personen beworben. Nachdem mit Zeitungsinseraten, Pressemeldungen, Flyern, Kneipenpostkarten, Social Media und Multiplikatoren in Schulen und Flüchtlingsinitiativen auf die Initiative aufmerksam gemacht worden war.
Mindestens fünf deutsche Teilnehmer
Bewerber aus sicheren Herkunftsländern wie Indien oder zentralasiatischen Staaten hat Annette Lauber aussortiert. 65 Geflüchtete und alle 13 deutschen Bewerber wurden eingeladen und schließlich 22 Geflüchtete aus Afghanistan, Iran, Irak, Libyen und Syrien (eine große Gruppe von 15 Personen) und 7 Deutsche eingestellt. „Mit weniger als fünf deutschen Teilnehmern hätten wir die Ausbildung nicht durchgeführt“, erklärt Annette Lauber. Eigentlich sei ein Verhältnis von zwei Dritteln und einem Drittel geplant gewesen, doch zwei Deutsche seien kurzfristig abgesprungen.
„Wir mussten ohnehin schon aufpassen, dass die deutschen Teilnehmer nicht zu sehr in die Rolle von Hilfslehrern gedrängt wurden. Sie sind schließlich selbst Auszubildende.“ Die Altersspanne der Teilnehmer liegt zwischen 17 bis 47 Jahren, es sind 17 Männer und 11 Frauen dabei. Unter den Geflüchteten hatten 10 bereits in der Heimat eine Ausbildung oder ein Studium begonnen, 6 eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen – in einem bunt gemischten Spektrum an Berufsrichtungen. Je ein Teilnehmer hat als Pfleger bzw. Hebamme gearbeitet und eine entsprechende Berufsausbildung im Herkunftsland abgeschlossen. „Insgesamt haben wir mehr Teilnehmer ins Programm aufgenommen als geplant, weil es im Bewerbungsverfahren zu bewegenden Situationen kam, in denen Schicksale geschildert wurden“, erinnert sich Lauber. Man habe eine Abbrecherquote in die Interkulturelle Pflege Ausbildung eingerechnet.
Das KulturPlus Programm
In 10 Stunden wöchentlich bzw. 1.200 Stunden insgesamt bekommen die Teilnehmer – finanziert von der Robert Bosch Stiftung – unter anderem Sprachunterricht (Deutsch für die Geflüchteten, Arabisch für die Deutschen). So lernen die deutschen Teilnehmer zum Beispiel die Pflegefachbegriffe auf Arabisch. Die Ausbildungsinhalte werden im Sprachunterricht nachbesprochen, um das Gelernte zu verfestigen. „Das KulturPlus Programm findet praktisch in der Freizeit außerhalb der Pflegeausbildung statt“, erläutert Annette Lauber.
„Theoretisch können wir niemanden zwingen teilzunehmen und die Auszubildenden bekommen keine Fehlzeiten aufgeschrieben, wenn sie nicht teilnehmen. Es ist kostenfrei, aber es gibt auch keine Ausbildungsvergütung für diese Stunden. Aber es herrscht die Übereinkunft zwischen uns und den Auszubildenden, dass das Programm zur interkulturellen Ausbildung dazugehört.“ Weiterhin gehören zum KulturPlus Programm eine Sprachbegleitung auf den Stationen, Förderunterricht zur Vertiefung des Lernangebots, ein interkulturelles Training, Exkursionen, Hospitationen, gemeinsame Projekte, Reflexions- und Supervisionsgruppen.
Die Erfahrungen nach sechs Monaten
Die Faktoren, die in den ersten Monaten am meisten beschäftigen, sind die Sprache und die Gruppenbildung. Die meisten ausländischen Teilnehmer begannen mit Deutschkenntnissen auf Niveau B1, einige wenige mit A2 oder B2. Das Schreiben ist dabei immer noch die größere Herausforderung als das Sprechen. „Das ist bei den ausländischen Teilnehmern sehr schambesetzt“, sagt die Projektleiterin, „da muss sensibel mit umgegangen werden.“ Dass die 15 Teilnehmer aus Syrien anfangs noch viel in ihrer Heimatsprache gesprochen hätte, empfand sie nicht als Problem. Das habe sich nach sechs Monaten gelegt. Man habe einfach in einem Kulturkreis bleiben wollen, um erste Erfahrungen zu sammeln.
[WERBUNG] Internationale Fachkräfte lieber in Gruppen wohnen und arbeiten lassen, damit sie sich gegenseitig unterstützen können, oder alleine, damit sie sich schneller mit den deutschen KollegInnen anfreunden? Wie es andere Arbeitgeber machen, lesen Sie in „Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann“ von Maja Roedenbeck Schäfer (Walhalla Verlag, 2018; Amazon Affiliate Link).
Vokabellisten und Tests in Leichter Sprache
Was gut funktioniert hat, sind Vokabellisten zum Selberlernen und die Besprechung von Fachtexten im Sprachunterricht. Auch die gute alte Tafel und Kreide erlebten eine Renaissance. Alle Unterrichtsmaterialien und Tests wurden in Leichte Sprache übersetzt. Insgesamt habe sie eine hochmotivierte Lerngruppe erlebt. In der Gruppe seien meist sehr gebildete Menschen mit Abitur oder Studium, das merke man deutlich.
„Im nächsten Kurs werden wir die Einführungsphase verkürzen“, so Annette Lauber. „Man hätte die Teilnehmer schon nach drei Monaten sehr gut auf Station einsetzen können. Und die Verbindung von theoretischem Wissen und praktischem Tun ist noch wichtiger als in der normalen Ausbildung ohnehin schon.“
Die Teams auf den Stationen sind durch die interkulturellen Azubis nicht überfordert. „Durch die verschiedenen Modelle, die wir anbieten, wie die zweijährige Helferausbildung, die dreieinhalbjährige integrative Pflegeausbildung sowie den dualen Bachelor, sind alle flexibel und wissen, dass immer wieder etwas Neues kommt“, hat Projektleiterin Lauber beobachtet. „Es wird registriert, dass die Unterstützung durch die Azubis groß ist.“
Erfolgsfaktoren der Interkulturellen Pflege Ausbildung
Als Erfolgsfaktor für die Interkulturelle Pflege Ausbildung nennt sie, dass man in der Robert Bosch Stiftung eine starke Partnerin habe. Sie unterstützt gute Projektideen finanziell und ideell. Insbesondere die neue Stelle für eine Projektkoordinatorin, die Deutsche ist, aber Arabisch spricht, sei aus diesem Topf finanziert worden. „Gemeinsam haben wir das Konzept in Projektgruppensitzungen erstellt. Alle Kooperationspartner haben sich leidenschaftlich engagiert. Die Projektfinanzierung ist eine gute Wahl, um an den Start zu kommen.“
Die Interkulturelle Pflege Ausbildung geht in die nächste Runde. Im kommenden Durchlauf, der frühestens im Frühjahr 2019 starten wird, wird man noch stärker darauf achten, im Unterricht gestaffelte Aufgaben für die Anfänger und Fortgeschrittenen vorzuhalten. Damit sich niemand langweilen oder überfordert fühlen muss. Neue Formate der Prüfung sollen ausprobiert werden: „Wie wäre es einmal mit einem Kolloquium statt einer Klausur?“, schlägt Annette Lauber vor. Die wichtigste Aufgabe, bevor sie sich konzeptionell mit dem zweiten Ausbildungsjahrgang befasst, sei jetzt jedoch, den Flow der ersten sechs Monate über die volle Distanz der vier Jahre aufrecht zu erhalten.
Klicke hier für weitere Blogartikel zum Thema:
Ausländische Fachkräfte | Internationales Recruiting | Arbeitsmigration | Integration
Zum Beispiel:
22. April 2022 um 10:15 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Pflegefachfrau und Iranerin. Zur Arbeit in Deutschland soll ich erst meinen Anpassungskurs im Umfang von 12 Monaten besuchen. Meine Frage ist, wie oder wo ich meinen Kurs besuchen kann.
ich freue mich für Ihre Hilfe.
Mit freundlichen Grüßen
Sakineh Nasibi
22. April 2022 um 13:46 Uhr
Hallo Sakineh, das kann ich dir leider auch nicht sagen. Ich arbeite bei den DRK Kliniken Berlin und wir bieten ab Januar 2023 einen Anpassungskurs an, der aber nur 6 Monate dauert. Andere Angebote findest du über Google. Gruß, Maja