Die interkulturelle Trainerin und Beraterin Grace Lugert-Jose hat im Februar 2022 eine Studie zur Berufszufriedenheit von philippinischen Pflegekräften in Deutschland durchgeführt. Die Ergebnisse sind leider nicht sehr erfreulich, liefern aber interessante Erkenntnisse zu den Erfolgsfaktoren gelungener Integration. Ich habe Grace Lugert-Jose zu ihren Ergebnissen interviewt – und zu ihrem Fragebogen-Instrument für Gesundheitsunternehmen, mit dem sich ein objektiver Status Quo in Sachen Integrationskonzept ermitteln lässt.


Wie bist Du auf die Idee gekommen, philippinische Pflegefachkräfte nach ihrer Zufriedenheit zu fragen?

Ich spezialisiere mich als Trainerin und Beraterin auf die Integration ausländischer Pflegefachkräfte in Deutschland. In diesem Rahmen ist es mir sehr wichtig, dass ich wirklich verstehe, was die internationalen Mitarbeitenden beschäftigt. Ich bin selber gebürtige Filipina und habe daher natürlich eine besondere Nähe zu dieser Nation. Außerdem habe ich die Facebook-Gruppe “Network of Pinoy Nurses in Germany” gegründet. Im Rahmen dieser Gruppe habe ich die Reichweite, um für eine solche Befragung auch ausreichend Teilnehmende zu gewinnen. Das hat mit 109 komplett ausgefüllten Fragebögen innerhalb von knapp zwei Wochen auch wirklich gut geklappt!

Sind die Erfahrungen anderer Nationen in Deutschland anders?

Natürlich werden die Erfahrungen sich von Herkunftsland zu Herkunftsland etwas unterscheiden. Man kann die Erkenntnisse daher nicht 1:1 übertragen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sehr viele Überschneidungen gibt. Die Ergebnisse der bekannten Studie zur betrieblichen Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland der Hans-Böckler-Stiftung zeigen zum Beispiel große Übereinstimmungen mit meinen Ergebnissen, obwohl dort nur Pflegekräfte aus anderen europäischen Ländern interviewt wurden.

Welche Ergebnisse hast Du erhalten?

Die Zufriedenheit ist leider absolut nicht auf einem Niveau, das man als akzeptabel bezeichnen würde. Nur 17 Prozent der hier arbeitenden philippinischen Pflegefachkräfte würden befreundeten Kolleg:innen auf den Philippinen ihren aktuellen Job empfehlen. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Befragten fühlen sich „nicht willkommen“, 64 Prozent empfinden sich in ihren fachlichen Qualifikationen abgewertet. Die kompletten Ergebnisse habe ich auf meiner Webseite veröffentlicht.

Welche Ergebnisse findest Du besonders spannend oder unerwartet?

Wir haben statistisch ausgewertet, welche Faktoren die Zufriedenheit bestimmen. Das sind in erster Linie die “weichen” Faktoren. Fühle ich mich willkommen, fühle ich mich wertgeschätzt? Auch die Frage, ob man die Freizeit genießen kann, war sehr wichtig für die Zufriedenheit. Der einzige “harte” Faktor mit einem großen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit war in meiner Befragung die Unterstützung bei der beruflichen Anerkennung.

Ansonsten sind einige Punkte, die die Arbeitgeber oft priorisieren, nicht bei den wichtigen Einflussfaktoren für die Mitarbeiterzufriedenheit. Beispielsweise das Einarbeitungskonzept oder das Vorhandensein von Mentor:innen. Das heißt nicht, dass man diese Dinge nicht braucht. Sie sind sicher wichtig, um die neuen Kolleg:innen schneller produktiv zu machen. Sie tragen aber nicht so stark zur Gesamtzufriedenheit bei wie man vielleicht annehmen könnte.

[Werbung] Integration ist viel schwieriger als die Anwerbung – zu diesem Ergebnis kommt auch Grace Lugert-Jose. Auf vielen Ebenen kann es zwischen ausländischen und einheimischen Mitarbeitenden in einem Team zu Konflikten kommen. Darum ist es beinahe unumgänglich, sich Unterstützung zu holen und in das Thema einzulesen. Wichtige Tipps geben auch meine Mitautorin Olivia Prauss und ich in unserem Fachratgeber „Betriebliche, kulturelle und soziale Integration ausländischer Pflegekräfte“, Olivia Prauss und Maja Roedenbeck Schäfer, Walhalla Verlag, 2020 (Amazon Affiliate Link).

Wie formulieren das die Filipinos und Filipinas selbst?

Hier ein paar Beispielaussagen aus meiner Umfrage:

“[Ich erlebe] Rassendiskriminierung, insbesondere bei Pflegekräften aus asiatischen Ländern.  [Deutsche Pflegekräfte] denken, dass unsere Standards, unser Wissensstand und unsere Fähigkeiten in Bezug auf die Krankenpflege im Vergleich zu ihren Standards sehr niedrig sind.”

“Sie müssen versuchen zu verstehen, dass neu eingestellte Fachkräfte aus dem Ausland einige Anpassungen und Betreuung brauchen, um ihre Fähigkeiten als Pflegefachkräfte besser unter Beweis stellen zu können.”

“Sie sollten geduldig sein und keine beleidigenden Wörter verwenden, wenn man nicht gut sprechen kann.“

Was können Unternehmen aus Deinen Ergebnissen lernen, Grace Lugert-Jose?

Zusammenfassend kann man sagen: Sprache muss priorisiert werden. Viele andere Faktoren hängen davon ab, dass die ausländischen Fachkräfte sich schnell gut ausdrücken können. Es geht aber eigentlich viel tiefer: Arbeitgeber müssen die Entscheidung, ausländische Pflegefachkräfte anzuwerben, als eine weitreichende Entscheidung begreifen, die die gesamte Organisation zu Veränderungen zwingt. Die wichtigsten Faktoren, also das Gefühl der Anerkennung und das Gefühl, willkommen zu sein, hängen von der Einstellung der gesamten Belegschaft ab. Es reicht also nicht, einige Führungskräfte zu schulen und ein paar Mentor:innen zu benennen.

Das hören Arbeitgeber natürlich nicht gerne. Es wäre so viel einfacher, wenn man einfach die neu angekommenen Mitarbeitenden nur etwas in Form bringen müsste und ansonsten so weitermachen könnte wie bisher. Etwas überspitzt formuliert: Man will ja einfach nur Lücken im Personalstamm stopfen. Diese Einstellung ist leider noch weit verbreitet und führt dazu, dass der Prozess für alle Beteiligten sehr frustrierend wird. Die neuen Mitarbeitenden sind unzufrieden und verlassen das Unternehmen irgendwann wieder, die Stammbelegschaft hatte falsche Erwartungen und ist vielleicht noch unzufriedener als davor.

Außerdem kostet der ganze Prozess ja auch sehr viel Geld…

Genau. Die Arbeitgeber müssen sich über die tatsächlichen Kosten der Anwerbung im Klaren sein. Diese Summen sind sehr viel höher als die Provision, die die Vermittlungsagenturen in Rechnung stellen. Alle Beteiligten müssen wissen, dass Integration ein langwieriger Prozess ist – und vor allem keine Einbahnstraße. Mit diesem Wissen werden dann langfristig orientierte Entscheidungen getroffen.

Die richtige Leitfrage lautet: “Wie muss ich den Integrationsprozess gestalten, damit ich in einem oder sogar zwei Jahren motivierte und produktive neue Mitarbeitende und insgesamt zufriedene Teams habe.” Aktuell lautet die Leitfrage oft eher: ”Wie muss ich den Integrationsprozess gestalten, damit ich die neuen Mitarbeitenden so schnell wie möglich voll einsetzen kann.” Das führt leider meistens nicht zum Erfolg.

Hat sich das interkulturelle Wissen in den Unternehmen in den letzten Jahren weiterentwickelt?

Es gibt auf jeden Fall Arbeitgeber, die langfristig denken und die Integration erfolgreich gestalten. Das ist zwar nur die Minderheit, aber immerhin zeigt das: Es ist möglich. Gleichzeitig führen frustrierende Erfahrungen der restlichen Arbeitgeber dazu, dass ein Erkenntnisprozess in Gang kommt. Ich würde insgesamt sagen: Wir sind zwar aktuell nicht sehr gut aufgestellt, aber immerhin bewegen wir uns in die richtige Richtung.

Aus Deiner Studie entwickelst Du aktuell ein Instrument zur Evaluierung der Integrationsbemühungen einzelner Arbeitgeber. Was hat es damit auf sich?

Wenn man etwas verbessern möchte, muss man ja erstmal wissen, wo man steht. Diese Status Quo Analyse biete ich mit meinem Instrument für das Thema “Integration ausländischer Pflegefachkräfte” an. Anhand einer Zufriedenheitsbefragung erhält das Unternehmen so eine ganz klare Kennzahl. Aus den Fragen lässt sich erkennen, wo Dinge vielleicht schon gut laufen und wo noch Verbesserungsbedarf besteht.

Optional führe ich zusätzlich qualitative Interviews mit verschiedenen Beteiligten aus dem Unternehmen. So gewinne ich einen Einblick aus unterschiedlichen Perspektiven und kann auch Probleme erkennen, die bei einer oberflächlichen Betrachtung nicht entdeckt werden. Ich denke, eine solche Standortbestimmung macht für alle Arbeitgeber Sinn, die ein ernsthaftes Interesse haben, ausländische Fachkräfte dauerhaft zu binden.

Wie bist Du eigentlich zu Deinem Job als interkulturelle Trainerin und Beraterin gekommen, Grace Lugert-Jose?

Ich habe bereits in verschiedenen Branchen im internationalen Kontext gearbeitet. Dabei habe ich erlebt, wie wichtig interkulturelle Kompetenzen für eine gute Zusammenarbeit sind.

Seitdem in den letzten Jahren immer mehr Filipinos als Pflegekräfte nach Deutschland kommen, hat mich das Thema sehr interessiert. Leider habe ich schnell festgestellt, dass der Zustand der Integrationsbemühungen noch viel Luft nach oben lässt. Ich möchte daran mitwirken, dies zu verbessern.

Ich bin von über 20 Jahren selbst von den Philippinen nach Deutschland gekommen und weiß, wie es ist, sich in einem neuen Land zu integrieren. Außerdem bin ich Wirtschaftspsychologin. Ich bringe also alles mit, um Integrationsprozesse erfolgreicher zu gestalten: eine hohe Glaubwürdigkeit bei den internationalen Fachkräften aber auch ein klares Verständnis für die wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber.

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