Wir entkräften hier die drei größten Mythen rund um die Mitarbeiterbindung

Arbeitgeber hätten weniger Stress damit, neue Mitarbeitende zu finden, wenn es ihnen gelänge, die vorhandenen Mitarbeitenden besser an ihr Unternehmen zu binden.

Organisationsberater Andreas Kenk weiß, wie Mitarbeiterbindung gelingt – und wie sie ganz sicher nicht gelingt.

Aus welchen Gründen kündigen Mitarbeitende ihre Jobs?

Eine Befragung von 1.092 Personen durch die CompensationsPartner GmbH in Kooperation mit Gehalt.de aus dem Jahr 2019 ergab als häufigste Gründe für eine Kündigung: mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, ein zu niedriges Einkommen, ein besseres Angebot, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten und einen zu hohen psychischen Druck – in dieser Reihenfolge.

Laut dem vom Gallup-Institut erhobenen Engagement Index Deutschland für 2018 haben nur 15 Prozent der Mitarbeitenden eine hohe emotionale Bindung an den Arbeitgeber. 71 Prozent haben dagegen eine geringe emotionale Bindung und 14 Prozent überhaupt keine emotionale Bindung. Das macht 5,5 Millionen Mitarbeitende in Deutschland, die voraussichtlich nicht so bald kündigen werden und 32 Millionen Mitarbeitende, die möglicherweise über eine Kündigung nachdenken oder nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Diese Zahlen haben sich übrigens seit 2001 nur minimal verändert.

Diese „inneren Kündigungen“ kosteten die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2018 zwischen 77 und 103 Millionen Euro, weil die Mitarbeitenden nicht mehr die volle Leistung erbrachten, zu der sie fähig gewesen wären. Unmotivierte Mitarbeitende haben 41 Prozent mehr Fehltage als motivierte Mitarbeitende, kündigen um 24 Prozent häufiger, haben 70 Prozent mehr Arbeitsunfälle und arbeiten qualitativ um 40 Prozent schlechter.

Welchen Mythen bezogen auf Mitarbeitermotivation und –bindung hängen Unternehmen fälschlicherweise nach?

Der erste Mythos lautet: „Geld fördert die Motivation, mehr Geld fördert die Motivation mehr.“ Darum gibt es in Unternehmen Boni- und Incentive-Regelungen (finanzielle Anreize), erfolgsabhängige Gehaltsbestandsteile und Zielvereinbarungssysteme. Der zweite Mythos lautet: „Die Führungskraft ist dafür verantwortlich, wie motiviert die Mitarbeitenden sind.“ Das führt dazu, dass man versucht, Mitarbeitende über Gehaltsanreize zu motivieren. Diese Motivationsanreize kommen von außen (extrinsische Anreize) und haben – das belegen viele Studienergebnisse – begrenzte Wirkung. In unserer zunehmenden Spaßgesellschaft wird regelmäßig auch der Tischkicker als Motivationsmaßnahme gefordert. Auch dieser hat nur begrenzte Wirkung auf die Motivation der Mitarbeitenden!  Der dritte Mythos lautet: „Menschen müssen angetrieben und kontrolliert werden, sie benötigen genaue Vorgaben, damit sie ihre Aufgaben erledigen.“

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Wie lautet Ihr Gegenargument zu Mythos 1 „Geld motiviert“?

Wir wissen heute: Die Höhe des Gehalts motiviert nur bis zu einer oberen Schwelle, darüber hinaus führt mehr Geld nicht zu mehr Motivation oder besserer Leistung. Mehr Leistung entsteht stattdessen durch mehr Aufmerksamkeit von der Führungskraft, durch die Begegnung auf Augenhöhe mit den Vorgesetzten, durch die Einbindung der Mitarbeitenden bei Entscheidungen, durch den Glauben an den Sinn der eigenen Tätigkeit, durch die Förderung von Stärken der Mitarbeitenden, durch die Anerkennung und Wertschätzung der Unterschiede zwischen den Kolleg*innen in den Teams. Des Weiteren hilft es, die Selbstorganisation der Teams zu fördern, eine gute Fehlerkultur zu etablieren, als Führungskraft delegieren zu können und gemeinsam mit den Mitarbeitenden den Kunden in den Blick zu nehmen. Aus diesen Vorgehensweisen entsteht Eigenmotivation, die wiederum zu besserer Leistung, mehr Kreativität und zu der Bereitschaft führt, Verantwortung zu übernehmen. Wenn Sie unbedingt mit monetären Anreizen arbeiten möchten, dann am ehesten bei einfachen sich wiederholenden Routineaufgaben (z.B. Akkordarbeit).

Wie lautet Ihr Gegenargument zu Mythos 2 „Führungskräfte müssen motivieren“?

Führungskräfte können die Motivation der Mitarbeitenden und damit die Mitarbeiterbindung nicht direkt beeinflussen. Sie können durch extrinsische Motivationsanreize versuchen, Leistung und Arbeitsqualität positiv zu beeinflussen. Die Wirkung dieser Anreize ist jedoch sehr begrenzt und die Wirkung verpufft sehr schnell. Sie entfaltet nur für die Erledigung einfacher Aufgaben Wirkung. Führungskräfte sollten stattdessen für gute Arbeitsbedingungen sorgen und das Miteinander am Arbeitsplatz positiv gestalten, indem sie gute Vorbilder sind. Mitarbeitende sind bei entsprechender Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen und des Miteinanders am Arbeitsplatz von sich aus motiviert. Voraussetzung dafür ist, dass es alle ernst damit meinen, auch „die da oben“.  Mitarbeitende sind in der Regel in der Lage, sich selbst zu organisieren. Unternehmen sollten ihren Mitarbeitenden mehr Freiraum lassen zu wählen, wie sie eine Aufgabe bewältigen oder ein Problem lösen möchten. Letztlich sind den Mitarbeitenden zwei Dinge wirklich wichtig: ihre eigene Zukunft und die Zukunft des Unternehmens. Und zwar in dieser Reihenfolge! Der Tischkicker für mehr Spaß bei der Arbeit könnte eine Maßnahme sein, zuerst sollte jedoch geklärt sein, ob jeder Mitarbeitende die Zielrichtung, in die das eigene Unternehmen steuert, versteht und weiß, welchen Beitrag er beisteuern kann. Klären Sie auch, ob die Mitarbeitenden durch Weiterqualifizierung für eine erfolgreiche Zukunft befähigt werden, und ob die Mitarbeitenden ermutigt werden, neue Ideen zu entwickeln. Eine zentrale Frage lautet dabei: Wie wird mit den dabei unvermeidlichen Fehlschlägen umgegangen?

[WERBUNG] Um Mitarbeiterbindung geht es auch in dem Buch „Krankenpflege-Personal finden und binden: Wie Sie ein attraktiver und begehrter Arbeitgeber werden“ von Andrea Lehwald. Seine Stärke ist das tiefgehende Know How der ehemaligen Fachkraft, die sich zur Expertin entwickelt hat und sowohl weiß, wie man mit einer Pflegekraft sprechen muss, um sie zu motivieren, als auch mit der Klinik-Direktion, um ihr das Versprechen abzuringen, Mitarbeiterbindung als Führungsthema ernstzunehmen.

Menschen brauchen nicht zwangsläufig einen Tischkicker, um sich in einem Unternehmen wohl zu fühlen, sondern suchen nach einem tieferen Sinn im Beruf, der für sie erfüllend wirkt. Sinn und Selbstverwirklichung wirken auf Dauer viel belohnender und zahlen mehr auf die Mitarbeiterbindung ein als jedes monetäre oder zielorientierte Anreizsystem, vorausgesetzt die Entlohnung wird als angemessen und gerecht erlebt. Unternehmen, bei denen es auf kreative Lösungen und flexible Aufgabenabwicklung ankommt, sind gut beraten, wenn sie ihren Mitarbeitenden größtmögliche Freiheitsgrade als Rahmen zur Aufgabenbewältigung zur Verfügung stellen. Das bedeutet nicht, dass es keine Regeln gibt und Chaos herrscht.  Entsprechende Studieergebnisse zeigen auch, dass Teams bessere Arbeitsergebnisse erzielen, wenn sie heterogen zusammengesetzt sind und die jeweiligen Stärken der Kollegen sich ergänzen. Voraussetzung dafür ist, dass Verschiedenartigkeit als wertvoll erlebt wird. Es bringt nichts, an Mitarbeitenden „herumzuschrauben“, bis sie so sind, wie ich sie haben möchte oder benötige. Es gilt, die Stärken zu erkennen, zu fördern und gewinnbringend einzusetzen.

Wie lautet Ihr Gegenargument zu Mythos 3 „Mitarbeitende müssen angetrieben und kontrolliert werden“?

Unterscheiden Sie bitte zwischen Leistungsbereitschaft und Motivation! Leistungsbereitschaft kann und muss erwartet werden. Das ist per Arbeitsvertrag geregelt. Rahmenbedingungen für motivierte Mitarbeitende zu schaffen, ist Kernaufgabe von Führung. Je komplexer eine Aufgabenstellung oder Problem, desto mehr „Zutrauen“ sollte den Mitarbeitenden durch die Führungskraft entgegengebraucht werden. Gehen Sie Ihren Mitarbeitenden bitte aus dem Weg, wenn zu erkennen ist, dass diese sich selbst organisieren können und wollen, um Aufgaben zu bearbeiten und Probleme zu lösen.  Im Übrigen führt Kontrolle, die der Mitarbeiter als unangemessen erlebt, in eine Art Teufleskreis: Kontrolle durch die Führungskraft erzeugt beim Mitarbeiter Ablehnung, die bei der Führungskraft wiederum zu einer Verstärkung der Kontolle führt – und so weiter. Ein Dilemma, von dem keiner der Beteiligten und auch das Unternehmen nicht profitiert.

Fragen Sie sich stattdessen, welche Aufgabe der Mitarbeiter gut erledigt hat und warum sie oder er die Aufgabe gut erledigt hat. Welche besonderen Fähigkeiten hat der Mitarbeiter gezeigt? Und wie sollte sein Arbeitsfeld künftig aussehen, damit er diese Fähigkeiten noch besser einsetzen kann? Ich zitiere gern Apple-Gründer Steve Jobs: „It doesn’t make sense to hire smart people and then tell them what to do. We hire smart people so they can tell us what to do.”

Ein wichtiger Faktor für gelingende Mitarbeiterbindung ist auch ein gutes Miteinander der Generationen…

Auf jeden Fall. Machen Sie das Generationenthema zum Thema in Ihrem Unternehmen. Organisieren Sie Vorträge und Webinare für Führungskräfte zu den Spezifika der Generationen von den Babyboomern über die Generationen X und Y bis hin zu Generation Z. Stellen Sie sicher, dass in der Führungskräfte-Entwicklung und in der Fort- und Weiterbildung das Thema Generationen-Management ein fester Bestandteil wird. Mentoring-Programme und Aktivitäten über alle Generationen hinweg sollten Alltag werden! Nur so können die Jungen die Erfahrung der Älteren nutzen und die älteren Arbeitnehmer*innen bleiben in ihrer Entwicklung nicht stehen und fühlen sich wertgeschätzt. Führen Sie Generationen-Workshops durch! Denn Generationen-Workshops sorgen auf Unternehmens- und auf Team-Ebene für eine bessere Wahrnehmung von typischen Vorurteilen zur Generation Z, Generation Y, Generation X und den Babyboomern. Sie sensibilisieren für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Generationen, ermöglichen eine bessere Fokussierung auf die Potenziale in altersgemischten Teams. Eine höhere gegenseitige Wertschätzung und eine effektivere Zusammenarbeit in einem Mehr-Generationen-Team sind die Folge. Solche Teams lassen sich auch viel besser führen.

Wie lauten die wichtigsten Erkenntnisse rund um die Mitarbeiterbindung zusammengefasst?

Wenn Mitarbeiterentwicklung und – bindung gelingen sollen, denken Sie bitte daran, dass die Qualität von Führung einen wesentlichen Anteil daran hat und Führungskräfteentwicklung ein lohnendes Investitionsfeld ist. Denken Sie daran, die Bedürfnisse der verschiedenen Generationen in Ihrem Unternehmen zu berücksichtigen, wertzuschätzen und aktiv damit zu arbeiten. Machen Sie sich klar, dass die Motivation der Mitarbeitenden und die Bindung an Ihr Unternehmen damit steht und fällt, ob Sie ihnen auf Augenhöhe begegnen. Ihre Mitarbeitenden benötigen Sicherheit, Verlässlichkeit und Überschaubarkeit, um ihre Potentiale zeigen zu können. Sie wollen nachvollziehbare, erreichbare Unternehmensziele erkennen und die Erlaubnis erhalten, sie mit großem Gestaltungsspielraum auf eigene Art und Weise zu erreichen.

Titelbild: Marcel Schäfer von Viavanta – Menschen. Bewegen.

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2 Kommentare

  1. Dr. Oliver Mattmann

    11. November 2019 um 15:49 Uhr

    Herzlichen Dank für den interessanten Beitrag!
    Meiner Meinung nach sieht es von Person zu Person anders aus mit der Motivation am Arbeitsplatz. Doch eines haben sie gemeinsam: Jeden Tag führen sich die Menschen selbst, sei es nun im Privatleben oder im Job. Man kann daher behaupten, dass jeder Mensch eine Führungskraft (über sich selbst) ist.
    Für Manager und Führungspersonen bedeutet das, dass sie die Mitarbeitenden nicht direkt motivieren können. Ihre Aufgabe ist es daher, die Angestellten dazu zu bringen, dass diese ihre Eigenmotivation aktivieren.

  2. Maja Roedenbeck Schäfer

    11. November 2019 um 18:39 Uhr

    Hallo Oliver, interessante Perspektive! Aber was ist mit den Menschen, die sehr wenig Motivation haben und sich überhaupt nicht selbst motivieren können, sondern nur ihre Zeit im Büro absitzen? Gruß, Maja

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