Als Newsletter-Leser*in hast Du sicher schon mitbekommen, dass wir eine kleine „Anti Leasing-Kampagne“ für die Pflege gestartet haben. Nachdem die geplante Laufzeit etwa zur Hälfte vorbei ist, möchte ich einen Einblick in die Reaktionen und Auswirkungen geben. Denn wie man sich vorher schon denken konnte, erhitzt das Thema die Gemüter. Wir haben aber auch Zuspruch bekommen und Nachahmer*innen gefunden.
Das Thema Leasing in der Pflege ist komplex. Natürlich muss man sich einerseits fragen, ob man etwas Kritisches darüber sagen darf, wenn man gleichzeitig Leasingkräfte beschäftigt. Kann man es sich leisten, die Leiharbeiter*innen und die Vermittlungsfirmen zu verprellen? Andererseits müssen wir uns als Gesundheitsunternehmen gegen die Macht der Leasingfirmen zur Wehr setzen. Wir wollen mit der Kampagne letztlich nur zeigen, dass wir als Gesundheitsunternehmen pointierte Kommunikation im Marketing genauso gut können wie die Zeitarbeitsfirmen.
Die Debatte allein auf politischer Ebene auszutragen und langfristig auf bessere Regulierung zu hoffen, kann nicht die Lösung sein. Denn währenddessen ziehen die Leasingfirmen durch gutes Marketing immer mehr Pflegekräfte aus der Festanstellung ab. Erzeugen immer mehr Kosten für die Krankenhäuser und Pflegeheime. Und manifestieren noch dazu einseitige Sichtweisen. Zum Beispiel: nur als Leasingkraft sei der Pflegejob überhaupt noch erträglich.
Wer trägt die Verantwortung?
Einerseits möchte und kann man keine Leasingkraft persönlich dafür verantwortlich machen, was strukturell schiefläuft. Andererseits muss durchaus mal deutlich gesagt werden dürfen, dass man als Zeitarbeiter*in ein bestimmtes System unterstützt. Und bestimmte Auswirkungen auf die gesamte Berufsgruppe in Kauf nimmt. Kann man sich da wirklich komplett aus der Verantwortung ziehen? Und nur auf die persönlichen Vorteile schauen?
Zudem hat man sich als Pflegekraft für einen Beruf entschieden, bei dem es nie ein Geheimnis war, dass Nacht- und Wochenenddienste aus gutem Grund dazugehören. Den Schichtdienst nun unter „schlechte Arbeitsbedingungen“ anzubringen und es als „emotionale Erpressung“ oder „Appell an den Altruismus“ (Oberärztin Sarah, Intensivmedizin, auf LinkedIn) zu bezeichnen, wenn ein Gesundheitsunternehmen seine Mitarbeitenden daran erinnert, scheint reichlich unfair.
Interne Möglichkeiten, sich aus dem 3-Schicht-System wegzuentwickeln
Das Hauptargument, dass die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sich nur durch eine Tätigkeit als Leasingkraft verbessern lassen bzw. dass Gesundheitsunternehmen und Politik nur dann aufwachen und die unternehmensinternen Arbeitsbedingungen verbessern, wenn alle Pflegenden ins Leasing abwandern, kann so nicht stehenbleiben. Denn für die einzelne Pflegekraft gibt es auch innerhalb der Unternehmen Möglichkeiten, sich aus dem Schichtdienst wegzuentwickeln. Oder ihr Gehalt zu steigern.
Und die Gesamtheit der Pflegeteams würde davon profitieren und die Arbeitsbedingungen würden sich schonmal gewaltig verbessern, wenn alle Leasingkräfte zurück in die Festanstellung gingen. Und sich die Teams mit festangestellten Kolleg*innen füllen würden. Bevor sie das täten, würden sie aber lieber ganz aus der Pflege aussteigen, heißt es, und… da sind wir schon mittendrin in der Diskussion.
Ein Blick auf die Zahlen
Bevor wir in die Gegenargumente eintauchen, die wir in den sozialen Netzwerken erhalten haben, treten wir vorher noch einmal einen Schritt zurück. Und betrachten erstmal die Kampagnenzahlen. Reichweite, Interaktion, Kanalvergleich – das konnten wir messen:
- Die Diskussion fand hauptsächlich auf LinkedIn statt, wo die Kampagne immer breitere Kreise zog. Von 418 Ansichten und 18 Likes beim ersten Kampagnenbeitrag haben wir uns auf 2379 organische (unbezahlte) Ansichten und 42 Kommentare beim sechsten (von 14 geplanten Beiträgen) gesteigert. Learning: Man braucht eine Content-Serie, um solche Kampagnen zu platzieren. Denn erst durch das wiederhole Posten wird das Thema von den Follower*innen wahrgenommen.
- Auf Instagram fiel lediglich auf, dass die Kampagnenbeiträge nur ca. ein Viertel bis ein Fünftel der Likes unserer Beiträge zu anderen Themen erhielten. Das kann man auf verschiedene Weise interpretieren. Vielleicht ist das Thema für die Wohlfühl-Plattform zu politisch. Vielleicht stimmt man unseren Aussagen nicht zu. Vielleicht traut man sich nicht, als Pflegekraft öffentlich und damit auch einsehbar für Arbeitgeber eine Position in der Leasingdebatte zu beziehen. Gesehen wird unsere Kampagne aber auch auf Instagram. Die Beiträge erzielen jeweils eine organische Reichweite von rund 2.000 Insights. Vereinzelte kritische Kommentare auf diesem Kanal kamen interessanterweise von Accounts ohne eigene Beiträge und Follower*innen. Vielleicht extra angelegt, um anonym mitreden zu können?
Die Argumente
Wenn wir uns nun die Diskussion auf LinkedIn im Einzelnen anschauen, sehen wir, dass sowohl Personalvermittlungsfirmen als auch Leasingkräfte selbst sich einschalten. Aber auch Vertreter*innen der Berufsgruppe Recruiter*innen, Marketing-Dozent*innen etc.. Und das ist ja schonmal schön, denn wir möchten eine breite Debatte anstoßen. Allerdings zeigt sich auch, dass immer wieder dieselben Personen kommentieren und das teils mehrfach. Die reine Menge der Kommentare ist also nicht überzubewerten.
Ebenfalls zeigt sich an den Kommentaren erneut die enorme Marketing-Expertise der Leasingfirmen. Die eben auch dazu führt, dass Leiharbeit in der Pflege ein so überdimensioniertes Ausmaß angenommen hat. Ganz schnell aktivieren die Geschäftsführer*innen der Personalvermittlungen nämlich ihre Leasingkräfte, um unter unseren Kampagnenbeiträgen „pro Leasing“ zu argumentieren. Immer schön ein Geschäftsführer und eine Leasingkraft bringen die Argumente. Weil sie wissen, dass das authentischer wirkt als wenn es eine Führungskraft alleine macht.
Warum funktioniert das nicht umgekehrt?
Umgekehrt funktioniert dieser Mechanismus leider nicht. Es wäre sehr schön, wenn sich festangestellte Pflegekräfte aus Gesundheitsunternehmen einmal in die Diskussion einbrächten, um die Kolleg*innen aus der Zeitarbeit davon zu überzeugen, in die Teams zurückzukehren.
Aber das geschieht nicht – zumindest nicht öffentlich, so wie es auch bei vielen anderen Pflegethemen nicht geschieht. Sendungsbewusstsein und Selbstwirksamkeit sind wichtige Kompetenzen. Mitarbeitende in Gesundheitsunternehmen müssen sie in Social Media- und Corporate Influencer-Schulungen erst erlernen.
Antworten auf Vorwürfe
Bei der Reaktion auf die kritischen Kommentare halten wir uns wie immer in der Social Media-Arbeit an unsere Kommunikationsregeln für Social Media-Manager. Jedem Kommentator nur einmal antworten und keine ausführlichen Diskussionen online führen. Immer wieder auf die abgestimmten Formulierungen der Kampagnenbeiträge verweisen, anstatt persönlich und emotional zu werden. Sich für positive Kommentare oder sachlich-freundlich rübergebrachte Gegenargumente bedanken, um eine gute Diskussionskultur zu würdigen. Und so weiter.
Welche konkreten Aussagen die gemischten Kommentare zu unserer Anti Leasing Kampagne enthielten und wie wir sie bewerten, erkläre ich im Folgenden exklusiv für Abonnent*innen. Außerdem in diesem Sonderteil auch die Antwort auf die Frage: Was mussten die Kommentatoren und Kritikerinnen letzten Endes doch zugeben? Danach geht es für alle weiter mit den Learnings, die wir für die Zukunft aus unserer Anti Leasing Kampagne gezogen haben.
Ausführliche Tipps exklusiv für Abonnent:innen
Die Learnings
Erfreulich zu sehen war, dass viele Kommentator*innen unsere beiden Kampagnenbeiträge vollständig gelesen und sich damit auseinandergesetzt haben – sonst hätten sie nicht so detailliert argumentieren können. Dennoch haben wir auf Basis der Kommentare in den sozialen Netzwerken einige Argumente nachgeschärft und einige Fakten präzisiert.
Die Arbeit an einer solchen Kampagne ist nicht abgeschlossen, wenn der erste Beitrag online geht, sondern fängt dann erst richtig an. Wir haben auch gelernt, so viele wie möglich seriöse externe Quellen wie den Bericht der Berliner Krankenhausgesellschaft zum Fachtag „Zeitarbeit in der Pflege“ aus dem August 2022 in die Kampagnenkommunikation einzubinden, um Kritikern möglichst von Anfang an den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die Nachahmer
Dass unser Ansatz, sich als Gesundheitsunternehmen aktiv gegen das zunehmende Leasing zu wehren, inspirierend sein kann, bestätigte uns die Anfrage des Marienhospitals Aachen. Recruiter Niklas Dauber schrieb: „Ihre Kampagne hat mein Interesse geweckt, da wir ähnliche Herausforderungen bewältigen müssen und eine ähnliche Zielsetzung verfolgen.“
Das Marienhospital bereitet derzeit ebenfalls eine Anti-Leasing-Kampagne vor. Um Duplicate Content und damit eine Abstrafung bei Google zu vermeiden, haben wir besprochen, dass unsere Inhalte als Inspiration genutzt werden können, aber eigene Formulierungen und grafische Umsetzungswege gefunden werden müssen.
Nicht zuletzt reagierte auch die Berliner Krankenhausgesellschaft interessiert und nimmt unsere Kampagne in ihren Newsletter #PflegeJetztBerlin auf.
Auf positive Reaktionen vorbereiten
Wichtig ist übrigens, sich nicht nur auf kritische, sondern auch auf positive Reaktionen gut vorzubereiten! Denn wenn wirklich eine Leasingkraft den Flyer in die Hand bekommt und sich beim Recruiting Team oder bei der Pflegedienstleitung meldet, um in die Festanstellung zu wechseln, muss vorab geklärt sein, wie dann verfahren wird.
Zahlt das Unternehmen die Ablösesumme an die Leasingfirma oder muss die Pflegekraft erst dort kündigen und die Frist abwarten? Muss die Leasingkraft, wenn sie im Unternehmen schon im Einsatz war, trotzdem den normalen Bewerbungsprozess durchlaufen oder kann ein beschleunigtes Verfahren angeboten werden?
Im Zentral OP der DRK Kliniken Berlin Köpenick stieß die Kampagne jedenfalls auf sehr positive Resonanz, die Leasingkräfte tragen ihre DRK Kliniken Berlin-Basecaps in den Meetings der OP Task Force (siehe Foto) und sind mit der Abteilungsleiterin im ständigen Austausch zu ihren Perspektiven.
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